Unstrukturierte Daten: Effekte durch Covid-19

Die Nutzung unstrukturierter Daten hat sich in den vergangenen Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, da „klassische“ Daten wie Finanzkennzahlen oder Ankündigungen die Ereignisse an den Finanzmärkten, und insbesondere Krisen, nur mit einer Verzögerung widerspiegeln. Die aktuelle Corona-Pandemie ist ein gutes Beispiel dafür, wie aus Zeitungsberichten abgeleitete Stimmungsindikatoren diese Dynamik erfassen und so positive Erträge generieren.

Dr. Markus Ebner
Head of Multi Asset

Sonja Tilly
CFA  Portfolio Management Multi Asset

Den Tonfall herausfiltern

Bestehendes Research hat gezeigt, dass nicht nur Fakten, sondern auch die Haltung der Anleger die Finanzmarktentwicklung bestimmen. Zeitungsberichte werden en masse und beinahe in Echtzeit generiert und sind somit geeignete Quellen für die Ableitung von Stimmungsindikatoren der Finanzmarktdynamik.

Dafür basieren wir unsere Analyse auf dem GDELT-Projekt („Global Database of Events, Language and Tone“), einer Researchkooperation, die weltweit Medien aus den unterschiedlichsten Perspektiven beobachtet und Themen, Stimmungen, Ereignisse, Erwähnungen von Organisationen, Personen und Orten extrahiert. Mit GDELT sammeln wir den durchschnittlichen Tonfall, d. h. das tägliche prozentuale Verhältnis positiver zu negativer Wörter in öffentlich verfügbaren Texten zum Thema „Wirtschaftswachstum“. Wir beschränken uns in der Analyse auf dieses Thema, um Daten ohne wirtschaftlichen Bezug herauszufiltern. In einem zweiten Schritt berechnen wir den durchschnittlichen täglichen Tonfall für zehn Länder und wenden diesen als Stimmungsindikator für das jeweilige Land an. Wir berücksichtigen ausschließlich Texte, in denen der Name des jeweiligen Landes genannt wird. Unsere Auswahl: Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Mexiko, Spanien, Südkorea und die USA.

Verschlechterung der Nachrichtenstimmung

Abbildung 1 veranschaulicht den durchschnittlichen Tonfall für vier Länder; die vertikalen Linien markieren das Datum, an dem die ersten Corona-Fälle im jeweiligen Land bestätigt wurden. Der durchschnittliche Tonfall für jedes Land verschlechterte sich im Einklang mit einer zunehmend wahrscheinlichen Pandemie. Südkorea verzeichnete aufgrund seiner Nähe zu China, dem Ursprungsland des Virus, die frühste und deutlichste Verschlechterung. In Ländern wie Brasilien war die Stimmungsverschlechterung angesichts der geographischen Distanz und der zunächst ausbleibenden CoronaFälle zunächst minimal.

Später, gegen Ende April, erreichte die Stimmung für Südkorea ihren Tiefpunkt, als das Land die Pandemie im Griff zu haben schien, während sich die Stimmung für Brasilien stark zu trüben begann. Grund waren Nachrichten, dass das Land stark betroffen sein würde, die Regierung aber nicht bereit sei, das Virus zu bekämpfen. Ende April besserte sich die Stimmung am meisten in den Ländern mit der effektivsten Krisenbewältigung, die dadurch eine hohe Mortalität vermieden (Südkorea und Deutschland). Im Gegensatz dazu verzeichneten stärker betroffene Länder, die noch mit der Pandemie rangen – beispielsweise die USA und Brasilien – eine nur moderate Erholung.

Durchschnittlicher Tonfall je Land
Abbildung 1: Quelle: gdeltproject.com
Ableitung einer Anlagestrategie

Auf den Nachweis, dass die Stimmung für die von uns analysierten Länder die Dynamik der Pandemie widerspiegelt, folgt eine Analyse dahingehend, ob sich der Stimmungsindikator in eine profitable Anlagestrategie umwandeln lässt. Hierzu wenden wir eine einfache Handelsregel an, indem wir im Falle eines positiven einmonatigen Stimmungswechsels eine 100-prozentige Futures-LongPosition am Aktienmarkt der zuvor genannten Länder halten und ansonsten eine 100-prozentige Short-Position eingehen (wöchentliche Handelsfrequenz mit eintägiger Handelsverzögerung). Alle Länder sind gleichgewichtet; die angenommenen Handelskosten belaufen sich auf 2 BP. Aus Abbildung 2 lässt sich ablesen, dass die Strategie in beiden Zeiträumen kontinuierlich positive Erträge generiert: während des schnellen Abschwungs bis zum 18. März und während der nachfolgenden Erholung. Die Stimmungsdaten erfassen die Dynamik während der Pandemie daher korrekt, was beeindruckt, da die meisten systematischen Strategien in solchen Zeiträumen zu kämpfen haben.

Auf Stimmungsindikatoren basierende Outperformance
Abbildung 2: Quellen: Bloomberg, gdeltproject.com

Um zu untersuchen, ob die Strategie auch in Zeiten weniger volatiler Märkte profitabel ist, wenden wir diese Handelsstrategie auf den Zeitraum ab März 2015 an, dem Datum der ersten verfügbaren GDELT-Daten. Das Ergebnis: Die Strategie generiert eine annualisierte Rendite von 13,2% mit einer Sharpe-Ratio von 1,6 und einer maximalen Negativperformance von 10,3%. Somit ist die Strategie auch in „normalen“ Marktphasen profitabel, nicht nur in Phasen hoher Volatilität.

Die Erkenntnisse unserer Analyse unterstützen die Hypothese, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Medienberichten und den Finanzmärkten gibt. Die Nachrichtenstimmung in Handelsstrategien einzubinden, kann Portfolioerträge steigern–insbesondere an Wendepunkten, an denen konventionelle systematische Handelsstrategien in der Regel vor Herausforderungen stehen.