Growth vs. Value: Was sind die Risiken?

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie werden in Europa nach und nach gelockert, die Infektionszahlen gehen zurück. Gleichzeitig erholen sich die Kapitalmärkte. Wir befinden uns derzeit an einem Scheideweg zwischen Krise und Erholung. Was ist in diesem Umfeld die klügere Strategie – Growth oder Value?

Dr. Volker Flögel
Head of Research

Seit der Finanzmarktkrise ist die Wertentwicklung von Value-Aktien deutlich hinter dem Gesamtmarkt zurückgeblieben. Die CoronaKrise hat diese Underperformance weiter befeuert. Automobilhersteller mussten die Produktion stoppen und die Schließung von Geschäften sowie das Reiseverbot haben Einzelhandelsunternehmen, Fluglinien und Tourismusbetriebe in Schieflage gebracht. Andererseits profitieren große Wachstumsaktien von der Krise. Netflix gewinnt beispielsweise doppelt so viele Neukunden in einem Quartal wie erwartet und die Aktie von Amazon, die zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von deutlich über 100 gehandelt wird, liegt im Jahr 2020 bereits über 20% im Plus.

Growth schlägt Value – ein Trend der letzten Jahre

Abbildung 1 verdeutlicht den Unterschied zwischen der Wertentwicklung von Growth- und Value-Aktien in den USA. Während ein Investment in große Wachstumstitel (rote Linie) im Dezember 2013 bis März 2020 zu einer Wertsteigerung von über 100% geführt hat, haben Value-Aktien eine negative Performance realisiert – unabhängig davon, ob es sich um große oder kleine Unternehmen handelt (gelbe und grüne Linie). Der Markt (graue Linie) hat immerhin eine Performance von 50% erzielt. Auffällig ist, dass die kleinen Wachstumsunternehmen den Markt ebenfalls nicht geschlagen haben. Die großen Wachstumsunternehmen sind die Gewinner der vergangenen Jahre.

Relative Wertentwicklung von Value
Abb. 1: Quelle: Quoniam (eigene Kalkulationen), Kenneth R. French Data Library (http://mba.tuck.dartmouth.edu/pages/faculty/ken.french/data_library.html)
Value-Aktien sind günstig bewertet

Aufgrund der Outperformance von Growth-Aktien hat sich der Unterschied in der Bewertung zwischen Growth- und ValueAktien, der sogenannte Value Spread, deutlich ausgeweitet. Dieser Effekt ist in Abbildung 2 zu sehen. Die blaue Linie stellt für US-Aktien das Price-To-Book Ratio (Kurs-Buchwert-Verhältnis, P/B) von Growth-Unternehmen im Verhältnis zum P/B von Value-Unternehmen dar. Der aktuelle Wert von 11 bedeutet, dass das P/B von Growth-Aktien verglichen mit dem P/B von Value-Aktien 11 mal so hoch ist. Größer war der Bewertungsunterschied mit einem Verhältnis von 11,5 nur am Ende der Dotcom-Blase.

Value Spread und Outperformance von Value-Aktien
Abb. 2: Quelle: Quoniam (eigene Kalkulationen), Kenneth R. French Data Library (http://mba.tuck.dartmouth.edu/pages/faculty/ken.french/data_library.html, jährliche Daten)
Hoher Value Spread–Basis für eine Rallye?

Die Historie zeigt, dass die Aussichten für Value-Aktien wieder deutlich besser sind als vor ein paar Jahren. Die graue Linie in Abbildung 2 stellt die Wertentwicklung eines Long-Short-Portfolios mit einer Long-Position in Value-Aktien und einer ShortPosition in Growth-Aktien dar. Deutlich zu erkennen ist der Zusammenhang zwischen Value Spread und Value Performance: Allen Perioden mit besonders starker Outperformance von Value geht ein hoher Value Spread voran.

Zwei dieser Perioden sind in der Abbildung mit Schattierungen markiert. Die erste Periode beginnt etwa 1972. Das Verhältnis des P/B von Growth-Aktien relativ zu Value-Aktien betrug ungefähr 8, was verglichen mit den Jahren zuvor durchaus einem hohen Wert entspricht. In den folgenden Jahren bis 1978 hat das Portfolio eine Performance von ca. 125% realisiert. Der Value Spread hat sich bis auf einen Wert von 4,5 verringert.

Die zweite markierte Periode ist die Dotcom-Blase. Wie bereits erwähnt war das P/B von Growth-Aktien fast 12 Mal so hoch wie das P/B von Value-Aktien. Mit dem Platzen der Dotcom-Blase im Frühjahr 2000 hat eine Value-Rallye begonnen, die erst zu Beginn der Finanzmarktkrise im Jahr 2007 ein Ende gefunden hat. Die Rendite des Long-Short-Portfolios betrug in diesem Zeitraum ca. 230%. Im Falle von Bewertungsblasen sind Value-Aktien also der sichere Hafen.

Das Timing einer Value-Rallye ist allerdings komplex, da der Turnaround häufig sehr schnell erfolgt. Nach der Finanzmarktkrise wurden beispielsweise 40% der 18-monatigen Value Underperformance innerhalb der ersten drei Wochen wieder aufgeholt.

Risiken von Value

Eine günstige Bewertung von Value-Aktien relativ zu GrowthAktien bietet eine gute Investitionsgelegenheit, mit der jedoch Risiken verbunden sind. Allen voran ist aktuell die Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung in Folge der Corona-Krise zu nennen. Alles andere als ein „V-Szenario“, also eine schnelle Erholung nach kurzem Einbruch der Wirtschaft, kann dazu führen, dass Growth-Titel mit hoher Marktkapitalisierung weiter profitieren. Dann könnte der Value Spread auf dem aktuellen Niveau bleiben oder sich sogar zeitweise weiter ausdehnen.