Leerverkäufe, Unternehmensanleihen und Covid-19

Die meisten Investmentansätze fokussieren sich auf die Long-Seite, also die Identifikation von unterbewerteten Unternehmen. Von einigen Investoren wird jedoch auch die Short-Seite beleuchtet, die überbewertete Wertpapiere identifizieren soll. Wir untersuchen, ob diese Informationen für die Prognose der Erträge von Unternehmensanleihen während der COVID-19-Pandemie genutzt werden können.

Dr. Philip Messow
Associate Director, Research

Desislava Vladimirova
Research

 

Leerverkäufer tragen zur Identifikation überbewerteter Unternehmen bei. Sie leihen Aktien oder Anleihen gegen eine Gebühr und verkaufen sie anschließend wieder. Um ihre Position zu schließen, müssen sie die Wertpapiere zu einem späteren Zeitpunkt am Markt zurückkaufen und dem Verleiher zurückgeben. Da Wertpapiere zu beliebig hohen Preisen gehandelt werden können, gehen Leerverkäufer ein theoretisch unbegrenztes Verlustrisiko ein. Daher benötigen sie eine große Menge an unternehmensspezifischem Wissen, um ihre Strategie erfolgreich ausführen zu können. Lässt sich dieser potentielle Informationsvorteil für die Renditeprognose von Unternehmensanleihen nutzen – auch während der von COVID-19 hervorgerufenen, historisch beispiellosen Wirtschaftskrise?

Um zu untersuchen, in welchen Wertpapieren die höchsten Leerverkaufsaktivitätenzu verzeichnen sind, gibt es verschiedene Leerverkaufs-Maße. Das Short Interest erfasst den leerverkauften Betrag eines Wertpapiers im Verhältnis zu seinem Nominalwert. Somit ist das Niveau des Short Interest für Emittenten, die stärker leerverkauft wurden, höher. Obwohl Investoren theoretisch ohne Einschränkung Wertpapiere leerverkaufen können, ist dies in der Realität oft nicht der Fall. Einige Wertpapiere sind aufgrund mangelnden Angebots schwer zu leihen. Ein anderes Maß für Leerverkaufsaktivitäten, die sogenannte Utilization Ratio, greift diese Liquiditätsprobleme auf. Sie ist definiert als geliehener Betrag für Leerverkäufe im Verhältnis zum verfügbaren Angebot eines spezifischen Wertpapiers. Daher kann sich die Utilization Ratio in Zeiten der Marktunsicherheit, wie während der COVID-19-Pandemie, nicht nur durch die steigende Nachfrage nach Leerverkäufen ändern, sondern auch, weil das allgemeine Angebot im Markt abnimmt. Um die Leerverkaufsaktivitäten zu messen, konstruieren wir ein Multi-Faktor-Signal als Kombination aus Short Interest und Utilization Ratio sowohl anhand der leerverkauften Aktien als auch anhand der leerverkauften Bonds.

Quintil Portfolios‘ Performance
Quelle: ICE, IHS Markit; Quoniam Asset Management
Long-Short-Portfolio-Performance während der COVID-19-Pandemie
Quelle: ICE, HS Markit; Quoniam Asset Management

Als Anlageuniversum nutzen wir den ICE BofA Global High Yield Index von Januar 2019 bis November 2020, da High-Yield-Anleihen (HY) auf Nachrichten relativ gesehen stärker reagieren. Abbildung 1 stellt die Performance des Multi-Faktor-Signals im Überschuss zum gleichgewichtetem High-Yield-Index dar – sortiert in Quintile (Q) je nach Ausprägung des Multi-Faktor-Signals (Q 1/5 steht für die 20 % der am meisten/am wenigsten leerverkauften Unternehmen). Der Grafik ist zu entnehmen, dass das Multi-Faktor-Signal, abgesehen von Q 2, einen monotonen Zusammenhang zur erwarteten Rendite hat, also weniger leerverkaufte Unternehmen im Durchschnitt eine höhere Rendite erzielen. Die am stärksten leerverkauften Unternehmen erzielen eine durchschnittliche negative Rendite von – 46 Bps pro Monat, während das Portfolio mit den am wenigsten leerverkauften Unternehmen (Q 5) eine positive Rendite von 16 Bps pro Monat erzielt. Darüber hinaus weisen die Unternehmen in Q 1 grundsätzlich eine höhere Volatilität auf. Insgesamt können durch die systematische Verarbeitung der Leerverkaufsaktivitäten Unternehmen gefiltert werden, die eine schlechtere Performance und ein höheres Risiko haben.

Das gilt insbesondere für die Zeit der extremen Marktvolatilität zu Beginn der COVID-19-Pandemie. Abbildung 2 zeigt die monatliche Überschussrendite 1) eines auf dem Multi-Faktor-Signal basierenden Long-Short-Portfolios. Da das Long-Short-Portfolio risikoärmere Wertpapiere beinhaltet als der HY-Index, erzielte es eine Rendite von 9 % im März 2020, während der Referenzindex – 17 % verlor. Aufgrund dieser defensiven Ausrichtung profitierte das Long-Short-Portfolio nicht im vollen Umfang von dem folgenden Aufschwung.

Fazit

Leerverkaufsinformationen von Aktien und Unternehmensanleihenkönnen erfolgreich zur Ertragsprognose und Risikosteuerung für Unternehmensanleihen genutzt werden. Gerade zur Hochzeit der COVID-19-Pandemie haben diese Informationen einen Mehrwert generiert.