Nachhaltigkeit quantifizieren – ESG-Daten sinnvoll nutzen
Die Vielfalt und Menge an ESG-Daten nimmt rapide zu. In diesem „insights“ beantworten unsere ESG-Experten acht wichtige Fragen dazu, wie sich Datenvolumen und -qualität entwickelt haben, welchen Herausforderungen institutionelle Anlegergegenüberstehen und wie ein quantitativer Investmentansatz ihnen transparente Lösungen bieten kann.
1.) Wie haben sich die Anbieter von ESG-Daten in den vergangenen 10 Jahren entwickelt und was sind die aktuellen Herausforderungen?
Vor zehn Jahren standen Asset Manager, die nachhaltige Anlagekriterien bei ihren Portfolios anwenden wollten, vor der Wahl: Sollten sie die Daten von externen Anbietern kaufen, wohl wissend, dass die Verfügbarkeit begrenzt und die Qualität womöglich fragwürdig ist? Oder sollten sie in den Aufbau großer Teams investieren, die notwendig sind, um selbst vertieftes Research durchzuführen? Investoren wiederum, die ESG umsetzen wollten, suchten in der Regel nach spezialisierten Asset Managern.
Heute gibt es eine Vielzahl an Datenanbietern am Markt, da das Bewusstsein für ESG gewachsen ist und sowohl Asset Manager als auch Anleger ihre Portfolios auf die steigenden regulatorischen Anforderungen vorbereiten. Während sich die Qualität der Daten verbessert hat, liegt die neue Herausforderung in der Quantität. ESG wird immer mehr zu einem „Big Data“-Thema. Die neuen Daten verschiedener Anbieter sind zudem oft schwer vergleichbar. Zudem handelt es sich häufig um unstrukturierte Daten.
Einige Asset Manager mit hauseigenen Research-Teams werden diese behalten und ausbauen, müssen sich aber in Bezug auf Qualität mit der wachsenden Anzahl von Datenanbietern messen. Diese Manager müssen kosteneffizient bleiben und weiterhin davon überzeugt sein, dass sie im Vergleich zu reinen Datenanbietern einen Mehrwert schaffen können. Die übrigen Asset Manager werden sich dafür entscheiden, Daten zu kaufen und daraus nützliche Informationen für ihren Investmentprozess zu generieren.
Aus Sicht institutioneller Anleger wird die Auswahl eines passenden ESG-Asset Managers zunehmend zur Herausforderung. Sie sind nicht nur mit einem Überangebot an Daten konfrontiert, sondern auch mit einer Flut an Asset Managern, die für sich Expertise auf dem Gebiet beanspruchen. Entscheidend wird es sein jene Asset Manager zu identifizieren, die sie dabei unterstützen, alle Daten zu verstehen und ihnen zeigen, wie sie ihre regulatorischen Anforderungen und Stakeholder-Ziele am besten umsetzen können.
„Wir erweitern ständig unser Wissen über ESG-Daten und ihre Interdependenzen.“
Mara Schneider
SI Managerin
2.) Warum sind zu viele ESG-Daten eine Herausforderung für Asset Manager und Investoren?
Stellen Sie sich vor, ein Pensionsfonds ohne ESG-Erfahrung möchte eine Milliarde EUR an Assets von 0 % auf 100 % nachhaltige Investitionen umstellen. Wo würde dieser Investor anfangen? Begriffe wie ESG gehen schnell von der Zunge – aber jeder Buchstabe steht für einen hochkomplexen Themenbereich, der zuerst verstanden, interpretiert und quantifiziert werden muss.
Bei Quoniam haben wir die Daten verschiedener Anbieter wie MSCI, ISS und Bloomberg analysiert und festgestellt, dass ähnliche Datensätze nur gering korreliert sind. Beispielsweise weist der MSCI ESG-Score eine Korrelation von 0,35 mit dem ESG-Score von Bloomberg auf. Dies stellt eine große Herausforderung fürinstitutionelle Anleger dar, da unterschiedliche Datenanbieter unterschiedliche Ergebnisse liefern werden.
3.) Worauf sollte bei der Betrachtung einzelnerUnternehmen geachtet werden?
Nehmen wir als Beispiel einen der größten Fleischproduzenten der Welt. Die Zahlen von S&P Trucost zeigen erwartungsgemäß einen großen CO2-Fußabdruck sowie einen hohen Wasserverbrauch des Unternehmens und das MSCI-Rating ist schlecht (CCC). Wenn wir die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (UN Sustainable Development Goals) als Maßstab nehmen, werden widersprüchliche Erkenntnisse von MSCI und ISS deutlich: während MSCI einen positiven Einfluss von 97 % auf die UN SDGs anzeigt, bewertet ISS den Fleischproduzenten negativ.
SI ist ein komplexes Thema mit unterschiedlichen Perspektiven
Das nächste Beispiel ist ein Wasserkraftwerk. Das ESG-Gesamtrating des Unternehmens ist AA, und sowohl MSCI als auch ISS geben dem Unternehmen gute SDG-Bewertungen. Die Scores für den Bereich Umwelt sind hingegen weniger gut. Der CO2-Fußabdruck des Unternehmens ist hoch und sein Wasserverbrauch wird als sehr hoch eingestuft.
Diese beiden Beispiele zeigen, dass ESG-Ratings und -Kennzahlen für ein- und dasselbe Unternehmen gegensätzliche Ansichten ausdrücken können. Bei der Bewertung der ESG-Performance eines Unternehmens spielt somit der Kontext eine Rolle. Die Richtlinien jedes Mandats können einen individuellen Kontext schaffen, zum Beispiel Investieren mit einem speziellen Fokus auf die Reduzierung des Wasserverbrauchs. Unter diesem Aspekt würde das Wasserkraftwerk trotz des positiven Beitrags zu den SDGs höchstwahrscheinlich ausgeschlossen werden.
„Der Kontext ist entscheidend für die Bewertung der ESG-Leistung.“
Dr. Veronika Herzberger
Portfolio Management
Diese Unterschiede zwingen institutionelle Anleger dazu, das Thema im Detail zu betrachten. Investoren müssen wissen, welche Datenlieferanten ihre Präferenzen am besten übermitteln und müssen Reputationsrisiken durch Missverständnisse vermeiden. Wir versuchen, unseren Kunden das Thema ESG zu erleichtern, indem wir die Unterschiede zwischen den Daten erläutern und dabei unterstützen, von Anfang an die richtigen Entscheidungen zu treffen.
4.) Können alle ESG-Daten quantifiziert werden?
Um in einem globalen Anlageuniversum Kontroversen herauszufiltern oder den ökologischen Fußabdruck eines Portfolios berechnen zu können, müssen diese Informationen quantifiziert werden.
„Wir kombinieren ESG-Ratings, Umweltkennzahlen und SDGs in unserem eigenen ESG-Composite.“
Johannes Lins
Portfolio Management
Datenanbieter liefern auf die qualitative Frage „Verstößt dieses Unternehmen gegen ethische Arbeitspraktiken?“ ein binäres Ergebnis, das gefiltert werden kann. Im Falle des ökologischen Fußabdrucks muss der Datenlieferant zunächst die „Wasserintensität” definieren und diese Frage mit einer absoluten oder relativen Zahl beantworten, die ein Asset Manager im Portfoliokonstruktionsprozess verwenden kann. Während sich Umweltbelastungen, wie CO2-Emissionen oder Wasserverbrauch, leicht quantifizieren lassen, bleibt die Quantifizierung sozialer Auswirkungen eine Herausforderung.
ESG-Ratings sind, ähnlich wie Bond-Ratings, sehr facettenreich und stützen sich auf qualitative Aspekte, während ESG-Kennzahlen spezifisch und eindimensional sind, wie zum Beispiel CO2-, Wasser- und Abfallintensität. Sowohl ESG-Ratings als auch ESG-Kennzahlen zeigen den aktuellen Zustand eines Unternehmens. Ein Fokus auf SDGs bietet eine zukunftsorientierte Perspektive.
Die Entwicklung hin zu immer mehr und immer komplexeren Daten spielt quantitativen Asset Managern in die Hände. Sie sind in der Lage, riesige Datenmengen in nützliche Informationen umzuwandeln und diese den Präferenzen der Kunden entsprechend anzupassen. Während in der Vergangenheit die Meinung vorherrschte, dass ESG und quantitative Ansätze nicht zusammenpassen, sind quantitative Asset Manager heute zunehmend konkurrenzfähig bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit und haben womöglich sogar einen Wettbewerbsvorteil bei der Integration von ESG in Anlageprozesse.
Mehrere Datenquellen für die ESG-Integration
ESG hat viele Facetten – Korrelationen zwischen Faktoren und Datenlieferanten sind gering
Der am wenigsten quantitative Teil eines ESG-Prozesses ist der direkte Dialog mit Unternehmen, um eine nachhaltige Unternehmensentwicklung voranzutreiben. In der Regel betreiben quantitative Asset Manager kein aktives Engagement bei den Unternehmen, in die sie investieren. Wir haben den Vorteil, mit dem spezialisierten ESG-Team unserer Muttergesellschaft Union Investment in den Bereichen ESG-Research und -Beratung sowie Engagement-Dienstleistungen zusammenzuarbeiten. Die Informationen, die wir aus dem Dialog mit Unternehmen gewinnen, quantifizieren wir und verarbeiten sie weiter. Beispielsweise gewinnen wir aus dem Dialog mit Unternehmen über die Ausrichtung auf das Zwei-Grad-Ziel nützliche Informationen darüber, wie wir das Thema systematisch bewerten können. Dasselbe gilt für Abstimmungsmuster bei der Ausübung von Stimmrechten.
5.) Wie funktioniert die ESG-Integration in einem quantitativen Investmentprozess?
Wir integrieren ESG-Kriterien bei der Portfoliokonstruktion zusammen mit unseren Prognosen für Alpha, Risiko und Transaktionskosten. In unserem Portfoliooptimierungs-Tool legen wir Richtwerte für Ratings oder Metriken als absolute oder relative Beschränkungen fest. Wir optimieren das Portfolio im Hinblick auf:
- E, S, G Faktoren und Industry Adjusted Score (IAS)
- ESG-Management-Score und ESG-Momentum
- Ökologische Fußabdrücke: CO2, Wasser und Abfall
- Messung der Übereinstimmung mit SDG, z. B. Erträge aus SDGs
6.) Was bedeutet ESG-Research im Zusammenhang mit quantitativem Asset Management?
Was ein- und ausgeschlossen wird und wie ESG in Live-Portfolios integriert wird, beeinflusst die Performance der Portfolios. Deshalb stellen wir sicher, dass die Daten verarbeitet werden können, bevor sie in unsere Anlageprozesse implementiert oder für das Research verwendet werden.
Aus diesem Grund gehört die Mehrheit unseres SI-Komitees dem Investments-Team an und wird von unserem CIO Thomas Kieselstein geleitet. Die Aufgabe des Komitees besteht darin, unsere ESG-Daten im Hinblick auf zwei wesentliche Ziele zu überwachen:
1) Qualitätssicherung und Abdeckung aller unserer Datensätze, einschließlich ESG-Rating, ESG-Metriken und UN SDG (siehe Abbildung 2)
2) Neubewertung von Kriterien, um sicherzustellen, dass sich der Kontext in Bezug auf Screening, Integration und Engagement nicht verändert hat.
Wir haben beispielsweise in der Vergangenheit nur 1 % der größten CO2-Emittenten ausgeschlossen. Dies wird nun geändert, um auch Kraftwerkskohle, Erzeuger und Vertrieb, einzubeziehen. Diese beiden Kriterien überschneiden sich zwar teilweise, der Kontext hat sich aber aufgrund von Regulierung und Trends verschoben.
Eine Herausforderung beim Umgang mit großen und komplexen Datenmengen ist die Qualitätssicherung und die effiziente Extraktion relevanter Informationen. Als quantitativer Asset Manager sind wir in diesem Bereich optimal aufgestellt. Daher hat sich unser Research darauf konzentriert, unser Wissen über ESG-Daten zu erweitern und die Interdependenzen zu verstehen. Wir haben die Korrelationen zwischen verschiedenen Arten von Datensätzen analysiert und unser eigenes Quoniam ESG-Composite berechnet. Dieses kombiniert ESG-Rating, Umweltkennzahlen und SDGs zu einer ganzheitlichen Darstellung der ESG-Gesamtleistung eines Unternehmens. Untersuchungen haben gezeigt, dass es aufgrund der Komplexität von ESG notwendig ist, alle Aspekte und Perspektiven einzubeziehen. Dadurch wird sichergestellt, dass signifikante Abweichungen nicht die ESG-Ziele der Portfolios unserer Kunden beeinträchtigen.
„Wir verwandeln große Mengen an ESG-Daten in nützliche Informationen für unsere Investoren.“
Hanna Kurz
Client Relations
7.) Wie unterstützt Research zu Daten und Datenlieferanten das Thema Transparenz?
Kehren wir zurück zu dem Pensionsfonds, der in seinem Portfolio bislang keine Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt hat und ESG-Konformität erreichen möchte. Der Anleger muss zunächst eine ESG-Leitlinie erstellen, die den Anforderungen der Stakeholder und Aufsichtsbehörden entspricht. Diese Leitlinie sollte Fragen beantworten wie: „Welche Kontroversen schließen wir aus? Wie definieren wir E, S und G?” oder: „Was ist unser Standpunkt zu SDGs?“ Eine kritische Schlussfrage lautet: „Wie messen wir, ob wir unsere Vorgaben erfüllen?”
Wir helfen Anlegern, ihren Überzeugungen und Anforderungen so nahe wie möglich zu kommen, indem wir hinsichtlich ESG- Daten und Datenlieferanten Transparenz herstellen. Wir diskutieren die Ergebnisse unserer Datenrecherche mit unseren Kunden. Wir erklären, warum wir die Entscheidungen im Rahmen unserer eigenen Richtlinien für nachhaltiges Investieren getroffen haben, und helfen dabei, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir bieten unseren bestehenden Kunden ein transparentes ESG-Reporting mit mehreren KPIs für ihr Portfolio. Auf diese Weise können unsere Kunden ihre eigenen Stakeholder und Aufsichtsbehörden über die Erfüllung der ESG-Vorgaben auf dem Laufenden halten.
8.) Was sind die Auswirkungen des EU-Aktionsplans für nachhaltige Finanzen für einen quantitativen Asset Manager?
Der EU-Aktionsplan umfasst mehrere Regelungen mit dem Ziel, einen nachhaltigen Finanzsektor zu fördern, der in der Lage ist, zum Beispiel den Übergang der EU zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu finanzieren.
Ein wichtiger Schritt des Finanzsektors in Richtung dieses Zieles ist die Offenlegungsverordnung. Künftig wird es ein höheres Maß an Transparenz darüber geben, wie Unternehmen Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Anlageprozessen berücksichtigen, welche Auswirkungen ihre Anlageentscheidungen auf ESG-Aspekte haben und wie ein Finanzprodukt tatsächlich die Klassifizierung als nachhaltig erfüllt.
Darüber hinaus wird es die EU-Taxonomie geben, die dem Finanzsektor und der Realwirtschaft klare Ziele zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an den Klimawandel vorgibt. Dies sind zwei der sechs Umweltziele, welche die EU-Kommission sukzessive in die Wirtschaft einbringen wird, um den Green Deal der EU zu erfüllen.
Transparenz und Entscheidungsfindung sind in hohem Maße von der Verfügbarkeit von Daten und Know-how abhängig. Ein Reporting zum CO2-Fußabdruck ist nur möglich, wenn die Daten verfügbar und in die relevanten Prozesse integriert sind. Eine Reduktion des CO2-Fußabdrucks ist nur möglich, wenn die Auswirkungen auf das Portfolio verstanden werden. Insgesamt werden wir eine weitere Zunahme an ESG-Datensehen, die verschiedene Indikatoren abdecken und die Notwendigkeit, ihre Komplexität zu verstehen wird dringlicher. Alsquantitativer Asset Manager können wir auf diesem Gebiet Mehrwert für unsere Kunden schaffen.