Marktkommentar Anleihen: Von 2022 nach 2023 – Wie stark wird die Rezession in diesem Jahr?
2022 brachte die schwächsten Fixed Income-Returns seit Jahrzehnten aufgrund von Inflation und Zinssteigerungen. Im Jahr 2023 steht hingegen der konjunkturelle Abschwung im Vordergrund. Wenn die bevorstehende Rezession nicht allzu stark wird, könnte 2023 ein gutes Jahr für Fixed Income-Investoren werden.
Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy
Jahresrückblick 2022
Inflation war das beherrschende Thema des Jahres 2022. Aufgrund der expansiven Fiskalpolitik zur Bekämpfung der Konsequenzen der Covid-Pandemie, pandemie- und kriegsbedingter Verwerfungen in den globalen Handelsketten sowie des Anstiegs der Energiepreise stiegen globale Inflationsraten auf ein Niveau, das zuletzt Anfang der 1980er Jahre erreicht wurde. In den USA kletterten die Verbraucherpreise im Juni 2022 auf Jahressicht um 9,1%, während die Inflation sich in Deutschland im Oktober 2022 auf 10,4% belief.
Entsprechend stellten Zentralbanken die Bekämpfung der Inflation in den Mittelpunkt ihrer Politik und erhöhten die Leitzinsen so aggressiv wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Abbildung 1 zeigt den Zinspfad für die USA und die Eurozone.
Abbildung 1: Leitzinsen in den USA und der Eurozone
Während zum Jahresbeginn 2022 die Leitzinsen in den USA bei 0%-0,25% lagen und in Europa bei 0% (und der Einlagesatz bei -0,5%), stehen zum Ende des Jahres 2022 die US-Leitzinsen bei 4,5% und die der EZB bei 2,5%.
Ein solch abrupter und unerwarteter Zinsanstieg im Jahr 2022 hat für Tumulte an den Zinsmärkten gesorgt. Durch die Einpreisung höherer Zinserwartungen stiegen die Renditen in allen Laufzeitensegmenten spürbar an, wie Abbildung 2 verdeutlicht.
Abbildung 2: Zinsanstiege im Jahr 2022
Die US-Zinsen kletterten im zehnjährigen Bereich von 1,51% auf 3,87%, während die deutschen Zehnjahreszinsen von -0,17% auf 2,57% stiegen. Noch extremer war die Bewegung im zweijährigen Bereich mit einem Anstieg in den USA von 0,73% auf 4,43% und von -0,62% auf 2,76% in Deutschland. Damit sind auf beiden Seiten des Atlantiks die Zinskurven invers, ein zuverlässiges Zeichen für eine bevorstehende Rezession.
Rezessionsängste trieben auch die Creditspreads 2022 deutlich nach oben. Die Euro IG-Spreads stiegen von einem Jahresanfangsniveau von 0,95% auf bis zu 2,34% Mitte Oktober, um das Jahr nach einer Jahresendrallye bei 1,67% zu schließen. Ähnlich sah die Entwicklung im US-Creditbereich aus mit einem Spreadanstieg von 0,81% zum Jahresbeginn auf bis zu 1,70% im Oktober mit einem Jahresendstand von 1,21%.
Abbildung 3: Spreadanstieg im Jahr 2022
Steigende Zinsen, steigende Spreads und eine Verfestigung von Inflationserwartungen führten zum schlechtesten Rentenjahr seit Jahrzehnten. Abbildung 4 zeigt die in Euro gehedgten Returns verschiedener Fixed Income-Assetklassen im Kalenderjahr 2022.
Abbildung 4: Fixed Income-Returns im Jahr 2022
Staatsanleihen, Unternehmensanleihen im Investment Grade (IG) und High Yield-Bonds hatten jeweils zweistellig negative Jahresreturns. Bemerkenswerterweise waren globale Inflation-Linker die schlechteste Assetklasse in einem Jahr, in dem Inflationsraten rapide nach oben schnellten. Da diese Assetklasse aber eine hohe Duration hat, machten die Zinsanstiege die Inflationskompensation mehr als wett. Vergleichsweise am besten schnitten Investments in kurze Laufzeiten ab mit 1-5-jährigen Unternehmensanleihen zwischen 7,7% und 8% je nach regionaler Ausrichtung.
Ausblick: Weniger Inflation, weniger Wachstum
Inzwischen haben die Inflationsraten aber fast überall ihren Höchstpunkt überschritten und sind auf dem Rückzug. Nirgendwo ist dies so deutlich wie in den USA, wo die Inflationsrate im Juli noch 9,1% betrug, inzwischen aber nur noch bei 7,1% liegt. Auch die Einzelkomponenten der Inflationsrate sind rückläufig.
Abbildung 5: Inflationsrate und -komponenten in den USA
Panel B von Abbildung 5 zeigt, dass alle Komponenten der Inflationsrate noch hoch sind. Die Kerninflationsrate liegt bei 6%, Lebensmittelpreise steigen aktuell mit 10,6% und Energiepreise wachsen mit einer Jahresrate von 13,1%. Allerdings sind die Zuwachsraten aller Komponenten zuletzt rückläufig gewesen. Insbesondere die Energiepreise, die im Juni noch mit einer Jahresrate von 41,6% stiegen, zeigen eine deutliche Wachstumsabschwächung. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, ist 2023 von einer deutlichen Normalisierung der Inflation auszugehen.
Rezession voraus
Ein Hauptgrund, warum viele Marktteilnehmer von rückläufigen Inflationsraten ausgehen, ist die Erwartung einer bevorstehenden Rezession in den USA und der Eurozone, die möglicherweise Ende 2022 bereits angefangen hat. Abschwächendes Wirtschaftswachstum, inverse Zinskurven und insbesondere schwache Frühindikatoren machen eine Rezession 2023 sehr wahrscheinlich. So sind die S&P-Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende und das Dienstleistungsgewerbe sowohl in den USA als auch in Europa im kontraktiven Bereich.
Abbildung 6: Einkaufsmanagerindizes (PMIs) in den USA und der Eurozone
PMI sind so zu interpretieren, dass Werte über 50 eine Expansion der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit signalisieren, während Werte unter 50 eine Kontraktion suggerieren. Die PMI-Werte für Europa im Dezember 2022 stehen bei 47,8 für das verarbeitende und 49,1 für das Dienstleistungsgewerbe. In den USA sind diese Werte mit 46,2 und 44,4 sogar noch niedriger.
Die Frage scheint weniger zu sein, ob sich die USA und Europa 2023 in einer Rezession befinden werden, sondern eher wie stark diese ausfallen wird. Während die Mehrzahl der Marktteilnehmer von einer moderaten Abschwächung ausgeht, warnen einige Stimmen vor einem deutlicheren Rückgang angesichts der Größenordnung der spekulativen Übertreibungen der letzten Jahre.
„Die Frage scheint weniger zu sein, ob sich die USA und Europa 2023 in einer Rezession befinden werden, sondern eher wie stark diese ausfallen wird.“
Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy
Hält sich der Arbeitsmarkt?
Ein Argument, das Optimisten anführen, ist die Stärke der Arbeitsmärkte in den USA und Europa. In vielen Ländern liegen die Arbeitslosenraten auf oder nahe an langjährigen Tiefstständen. So beträgt die Arbeitslosenquote in den USA beispielsweise 3,7%, in Deutschland sind es aktuell 5,5%. Zwar hat der Aufbau von Lagerbeständen angesichts der Lieferkettenproblematik des Jahres 2022 zu einem einmaligen positiven Effekt geführt, die Beschäftigungsniveaus sind aber dennoch sehr stabil.
Allerdings sind bei genauerer Betrachtung Unstimmigkeiten und Risiken vorhanden. Während in den USA die Non-Farm Payrolls, die einen systematischen Aufbau von Beschäftigung angezeigt haben, die meistbeachtete Arbeitsmarktveröffentlichung darstellen, zeigen andere Indikatoren ein gemäßigteres Bild. So zeigt der gleichzeitig veröffentlichte Household Survey einen deutlich geringeren Aufbau von Beschäftigung.
Abbildung 7: Arbeitsmarkt in den USA
Methodische Unterschiede der beiden Kennzahlen führen zu anderen Ergebnissen, und es bleibt abzuwarten, welche der Zeitreihen sich an die andere angleicht. Die Non-Farm Payrolls enthalten beispielsweise eine Schätzung für neugeschaffene Stellen aus Unternehmensgründungen, da die tatsächliche Zahl nur mit großer Verzögerung verfügbar ist. Erfahrungsgemäß ist diese Schätzung an konjunkturellen Wendepunkten aber oft revisionsanfällig. Dies könnte bedeuten, dass die Non-Farm Payrolls die aktuelle Arbeitsmarktsituation überschätzen.
Ein Indikator dafür war eine Studie der Philadelphia Fed, die am 13.12.2022 veröffentlicht worden ist . Unter Nutzung von genaueren Zensus-Daten kamen die Researcher zum Schluss, dass zwischen März und Juni US-weit lediglich 12.500 neue Stellen geschaffen wurden, während die Non-Farm Payrolls mehr als 1 Millionen indiziert haben. Wenn die Pessimisten Recht behalten, dürfte eine deutliche und rapide Abkühlung des US-Arbeitsmarktes bevorstehen.
In jedem Fall dürfte ein deutlicher Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage aber zu einem Rückgang der Inflationsraten und damit der Zinserwartungen führen. Zentralbanken würden dann erkennen, dass der Zinserhöhungszyklus zu schnell und zu weit gegangen ist, und die Leitzinsen wieder senken. All dies gibt Fixed Income-Investments Rückenwind und spiegelt sich aktuell schon in den Zinserwartungen der Marktteilnehmer (und sogar der Fed) wider.
Abbildung 8: Forwardkurven und Fed Dot Plots
Forwardkurven am Geldmarkt geben die Erwartungen der Marktteilnehmer für künftige Leitzinsen an. Während kurzfristig weitere Zinsanstiege erwartet werden, sind die mittelfristigen Erwartungen deutlich moderater. So sind für die USA anderthalb Zinsschritte bis Juni 2023 eingepreist, während in der Eurozone noch gut vier Zinsschritte bis September 2023 erwartet werden. Allerdings zeigt Abbildung 8 auch, dass in den zwölf Monaten nach dem Zinshoch in der Eurozone bereits zwei, in den USA sogar vier Zinsschritte nach unten erwartet werden.
Interessanterweise sieht dies selbst die Fed so. In ihren Dot Plots, einer Schätzung jedes Mitglieds bezüglich des künftigen Zinspfades, liegt die Medianerwartung für 2023 bei 5,125%, für 2024 aber einen vollen Prozentpunkt tiefer. Sinkende Zinsen und damit positive Zinsänderungsreturns sind daher am Markt momentan Konsens für die mittlere Frist.
Spreads sind attraktiv
Die zweite wichtige Komponente für Credit-Investoren ist der Spreadänderungsreturn. Haben Creditspreads die konjunkturellen Sorgen eingepreist oder stehen hier noch negative Überraschungen bevor? Abbildung 9 zeigt die monatlichen Spreads für Euro IG Credit seit Mai 2000 sortiert nach ihrer Größe.
Abbildung 9: Euro IG-Spreadlevels im historischen Vergleich
Der dunkle Balken stellt das Spreadniveau Ende Dezember 2022 dar. Trotz der starken Rallye des letzten Quartals liegen diese immer noch auf dem 77%-Perzentil. Das heißt, 77% aller historischen Spreads waren niedriger als die Spreads heute, nur 23% waren höher. Und wenn man betrachtet, wann die Spreads höher waren, so waren dies fast ausschließlich Krisen wie der Beginn der Coronakrise im März 2020, die europäische Schuldenkrise 2010-2012 und die globale Finanzkrise 2008/2009.
Dies bedeutet, dass eine mittlere Rezession in den aktuellen Spreadniveaus eingepreist ist. Zwar könnte eine stärkere Rezession noch etwas Aufwärtsdruck auf die Creditspreads ausüben, in einem solchen Fall ist es aber wahrscheinlich, dass die Zinsen am Markt fallen und damit mit positiven Zinsänderungsreturns zu rechnen ist. Corporate Bonds erscheinen im aktuellen Marktumfeld attraktiv.
Ein Blick in die Historie zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für positive Credit-Returns im Jahre 2023 hoch ist. Seit 1998 gab es von fünfzehn Jahren mit Credit-Renditeniveaus mit mehr als 3% zum Jahresbeginn nur zwei, in denen der realisierte Jahresreturn negativ war. 1999 erbrachten Euro IG-Credits -1,9% Return bei einem Startniveau von 4% im Januar 1999. 2008 stand das Renditeniveau zu Jahresbeginn sogar bei 5,5%, am Ende war der Creditreturn aber mit -3,3% der zweitschwächste der letzten 25 Jahre. Nur 2022 hat mit -13,6% alle anderen Jahre in den Schatten gestellt.
Abbildung 10: Zusammenhang zwischen Startrendite und Jahresreturn für Euro IG Credit
Zu Beginn des Jahres 2023 lag die Rendite von Euro IG Credit bei 4,3%. Sollte der Jahresreturn 2023 auf der Trendlinie in Abbildung 10 liegen, würde dies einen Jahresreturn von 10,5% bedeuten. Viele Investoren wären allerdings schon mit deutlich weniger zufrieden.