Marktkommentar Anleihen: Rezessionsanzeichen verdichten sich

Sind wiederauflebende Inflationssorgen und die immer stärker inversen Zinskurven Indikatoren für eine bevorstehende Rezession – oder können die Konjunktur und ein starker Arbeitsmarkt weiter dagegenhalten? Welche Schlüsse Sie aus der aktuellen Marktlage ziehen können, erläutert Dr. Harald Henke.

Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy

Inflation und Inflationserwartungen

Das zweite Quartal 2023 stand im Zeichen wiederauflebender Inflationssorgen. Zwar fiel die Inflationsrate in den USA auf 4,0%, diese Bewegung war aber vor allem durch die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise getrieben. Die Kerninflationsrate blieb mit 5,3% hoch. In Deutschland beschleunigte sich die Inflation zuletzt wieder von 6,1% auf 6,4%, während diese in Großbritannien überraschend unverändert bei 8,7% blieb.

Diese Dynamik führt dazu, dass selbst eine Normalisierung der Inflation auf einen monatlichen Anstieg von 0,2% für Europa einen Rückgang der Inflation auf Niveaus zwischen 2% und 3% erst 2024 hervorbringen würde. Dies ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1: Inflationsentwicklung und Normalisierungspfad in Europa und den USA
Normalisierungspfad unterstellt 0,2% Inflation pro Monat. Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management GmbH

In den USA hatten der inflationäre Trend und die Zentralbankreaktion früher begonnen, zudem ist das Land weniger abhängig von Energie- und Nahrungsmittelimporten als Europa. Aber selbst dort erweist sich die Inflation als hartnäckiger als zunächst erwartet.

Konjunktur und Frühindikatoren

Gleichzeitig verdichten sich die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel. Während der Dienstleistungssektor die Volkswirtschaften in Westeuropa und Nordamerika noch aufrecht hält, zeigen die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe bereits ein rezessives (USA) oder gar depressives (Deutschland) Umfeld an wie aus Abbildung 2 zu entnehmen ist.

Abbildung 2: Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe
Quelle: Bloomberg L.P.

Ein Wert unter 50 bedeutet rückläufige Wirtschaftsleistung, ein Wert von 41, wie zuletzt in Deutschland, kündigt eine schwere Rezession im verarbeitenden Gewerbe an. Grund für die schlechtere Lage in Deutschland ist vermutlich die prekäre Energiesituation durch den sanktionsbedingten Wegfall günstiger fossiler Energieträger.

Ebenfalls bemerkenswert ist der historisch beispiellose Rückgang der Geldmengen in den USA und der Eurozone. Zwar haben die fiskalischen Exzesse der Covid-Pandemie diese zuvor auch aufgepumpt, allerdings hat es einen Rückgang der Geldmengen, wie wir sie jetzt erleben, bisher nie gegeben.

Abbildung 3: Wachstum der Geldmenge M2 in den USA und Europa
Quelle: Bloomberg L.P.

Der robuste Arbeitsmarkt stabilisiert die Volkswirtschaften aber weiterhin. Fiskalische Impulse (Krieg) sowie demographisch bedingter Arbeitskräftemangel sorgen überall für rekordniedrige Arbeitslosenzahlen. Auf den Arbeitsmarkt ist daher in Q3 besonders zu achten. Jedes Zeichen von Schwäche kann zu massiven Bewegungen in Zinsen und Spreads führen.

Zinsen und Zinserwartungen

Die Zinsen auf beiden Seiten des Atlantiks reagierten im abgelaufenen Quartal stärker auf die hartnäckige Inflation als auf die Konjunkturnachrichten und stiegen daher an:

  • In Deutschland stiegen die Zehnjahreszinsen von 2,29% auf 2,39%, die zweijährigen Zinsen erhöhten sich von 2,68% auf 3,20%.
  • Die Zinsbewegung in den USA war noch stärker mit einem Anstieg der zehnjährigen Zinsen von 3,47% auf 3,84% und der Zweijahreszinsen von 4,03% auf 4,90%.

Die Erwartung stärkerer Zinsanhebungen der Zentralbank hat insbesondere die Zinsen am kurzen Ende nach oben getrieben. Abbildung 4 zeigt die Differenz aus zehn- und zweijährigen Zinsen für Deutschland und die USA.

Abbildung 4: Zinsen und Kurvensteilheit in den USA und Europa
Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management GmbH

Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, haben sich die Zinskurven wieder stärker invertiert und stehen jetzt auf dem niedrigsten Niveau dieses Zyklus. Der Markt ist damit sehr pessimistisch, was den weiteren Konjunkturverlauf betrifft, da inverse Kurven in der Vergangenheit ein zuverlässiger Indikator für eine bevorstehende Rezession waren.

Der Grund dafür ist die Erwartung fallender kurzfristiger Zinsen in der Zukunft, zu denen eine Rezession die Zentralbanken zwingt. In Antizipation dieser Zinsschritte liegen die längerfristigen Zinsen bereits niedriger.

Entsprechend interessant ist ein Blick auf die Zinserwartungen des Marktes, die aus Abbildung 5 abzulesen sind.

Abbildung 5: Geldmarkt-Forwardzinsen in den USA und Europa
Panel A: Implizite Geldmarktzinssätze EUR
Panel B: Implizite Geldmarktzinssätze USD; Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management GmbH

Über das zweite Quartal 2023 hinweg hat der Markt für 2023 zwei zusätzliche Zinsschritte für die Eurozone und vier für die USA eingepreist. Der Markt sieht den Leitzins der EZB im Dezember diesen Jahres bei 4% und den der Fed bei 5,25%. Über das Jahr 2024 werden allerdings zwei Zinssenkungen in Europa und fünf in den USA eingepreist. Dies ist im Einklang mit dem schwachen Konjunkturbild, das die Makroindikatoren nahelegen.

Creditspreads

Abbildung 6 zeigt die Entwicklung von Creditspreads im Euro- und US-Dollar-IG-Bereich und die Differenz zwischen beiden.

Abbildung 6: Creditspreads in Euro und USD
Panel A: Creditspread Euro IG und USD IG
Panel B: Spreaddifferenz Euro IG – USD IG; Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management GmbH

Während sich die europäischen Spreads in Q2 um 7 Basispunkte auf 1,63% einengten, fielen die USD-Spreads sogar um 15 Basispunkte auf 1,23%. Damit liegen die Spreads in Euro IG um historisch ungewöhnlich hohe 40 Basispunkte über denen im Dollarraum, obwohl die durchschnittliche Duration des USD-Index ca. 2,5 Jahre länger ist und Bonds mit Laufzeiten über 10 Jahren mehr als ein Drittel des Index ausmachen gegenüber unter 10% im Eurobereich. Zudem ist der Ratingbereich BBB im USD-Index sogar etwas weniger vertreten als in Euro.

Hauptgrund für das Auseinanderlaufen der Indizes seit Frühjahr 2022 ist die schwierigere Wettbewerbssituation europäischer Unternehmen aufgrund der überproportional gestiegenen Energiekosten durch Sanktionen und der Zerstörung von Teilen der Energieinfrastruktur. Es ist zu erwarten, dass dieser Wettbewerbsnachteil und die daraus resultierende Spreaddifferenz auf absehbare Zeit bestehen bleibt. Euro Credit dürfte damit im Vergleich zu USD Credit die höher rentierliche, aber auch riskantere Anlage bleiben.

Schaut man sich die Spreadperformance in Euro genauer an, fällt die unterschiedliche Performance defensiver und offensiver Sektoren auf, wie in Abbildung 7 zu erkennen ist.

Abbildung 7: Spreads offensiver und defensiver Sektoren
Panel A: Creditspread offensiver und defensiver Sektoren
Panel B: Spreaddifferenz offensiver und defensiver Sektoren. Defensive Sektoren: Konsumgüter, Versorger, Telekommunikation, IT. Offensive Sektoren: Energie, Banken, Finanzdienstleister, Versicherungen, Immobilien. Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management GmbH

Zwar haben sich die offensiveren Sektoren mit -11 Basispunkten über Q2 etwas stärker eingeengt als die defensiveren Sektoren mit -4 Basispunkten, die Differenz zwischen beiden Sektorgruppen steht aber mit 65 Basispunkten auf einem historisch sehr hohen Niveau. Von der reinen Spreadhöhe her erscheinen zyklische Sektoren daher attraktiv. Vor dem Hintergrund einer potenziellen Rezession müssen diese Spreads allerdings als Kompensation für das erhöhte Risiko von Unternehmen in diesen Sektoren verstanden werden.

Zusammenfassung

Auf den ersten Blick hat sich der Trend der letzten Quartale fortgesetzt: Auf der einen Seite bleibt die Inflation hartnäckig hoch und verhindert eine Lockerung der Geldpolitik der Zentralbanken. Auf der anderen Seite zeigen die Konjunktursignale weiter nach unten und würden daher zumindest eine Zinspause der Notenbanken rechtfertigen.

Bei genauerem Hinsehen haben sich die Rezessionsindikatoren aber verdichtet und es sind vor allem die Konjunktur im Dienstleistungssektor und der starke Arbeitsmarkt, die einen größeren Wirtschaftsabschwung verhindern. Allerdings mehren sich zunehmend warnende Stimmen, die von einer bevorstehenden Rezession sprechen.

Die Kapitalmärkte ließ dies im zweiten Quartal 2023 weitestgehend unberührt. Nach dem Anstieg der Risikoaversion rund um die Bankenkrise im März zeigten Risikoassets im zweiten Quartal eine starke Performance mit steigenden Aktienkursen und fallenden Creditspreads. Ob dies im dritten Quartal auch so sein wird, erscheint ungewiss.

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