Nachrichten dekonstruieren: Wie KI Anlegern tiefere Einblicke in die Zentralbankkommunikation verschafft
In ihrem neuesten Paper „Breaking (up) news: Wie aktuelle und zukünftige Informationen die Dynamik von US-Staatsanleihen beeinflussen“ kommen Dr. Maximilian Stroh, CFA, Head of Research, und Dr. Matthias Apel, Portfolio Management Multi-Asset, zu dem Schluss, dass die systematische Analyse der zukunftsgerichteten Komponente von Zentralbanknachrichten einen spürbaren Prognosewert hat. In diesem Interview gewähren wir einen Blick hinter die Kulissen ihrer Forschung und erläutern, wie sie Large Language Models (LLMs) einsetzen, um zuverlässige Ergebnisse zu erzielen.
In Kürze
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Quoniam nutzt KI (LLMs), um systematisch zu erkennen, wie Zentralbankkommunikation aktuelle Maßnahmen von zukünftigen Zinserwartungen trennt und welche Aussagen marktbewegend sind.
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Die Extraktion zukunftsgerichteter Informationen aus Hunderttausenden Schlagzeilen liefert messbare Signale für Renditeprognosen.
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Diese Erkenntnisse fließen in eine regelbasierte Liquid-Alternatives-Strategie ein, die geldpolitische Trends verschiedener Zentralbanken in tägliche Handelssignale übersetzt.
Eure jüngste Veröffentlichung „Breaking (up) news: Wie aktuelle und zukünftige Informationen die Dynamik von US-Staatsanleihen beeinflussen“ hat für viel Aufsehen gesorgt. Könntet Ihr unseren institutionellen Anlegern zunächst einmal in groben Zügen erläutern, worum es in Eurer Forschung geht?
Matthias: Im Kern geht es bei unserer Forschung darum, ein differenzierteres Verständnis dafür zu erlangen, wie Mitteilungen von Zentralbanken wie der US-Notenbank Fed die Finanzmärkte beeinflussen, insbesondere die Renditen von US-Staatsanleihen. Wir wissen, dass die Ankündigungen der Zentralbanken ein entscheidender Faktor für Marktbewegungen sind, die offizielle Kommunikation und die umfangreiche Berichterstattung können schwer zu interpretieren sein. Hier kommen LLMs ins Spiel.
Max: Ganz genau. Anleger und Vermögensverwalter verbringen viel Zeit damit, zu entschlüsseln, was die Zentralbanker signalisieren. Aber konzentrieren sie sich auf das, was sie jetzt gerade tun, oder liegt der Fokus darauf, was sie in Zukunft tun könnten? Diese Unterscheidung ist unserer Meinung nach von entscheidender Bedeutung. Stellen Sie sich unseren Ansatz als eine systematische Zerlegung von Nachrichten vor. Wir nehmen den gesamten Strom zentralbankbezogener Nachrichten und unterscheiden spezifisch zwischen Informationen, die sich entweder auf aktuelle zinspolitische Entscheidungen oder den zukünftigen Zinspfad beziehen.
Das klingt faszinierend. Warum ist diese Unterscheidung zwischen „aktuellen“ und „zukunftsgerichteten“ Informationen für einen Anlageexperten so wichtig?
Matthias: Traditionell werden in vielen bestehenden Ansätzen alle Zentralbanknachrichten in einen Topf geworfen. Allerdings beeinflusst „das, was gerade passiert ist“ und „das, was als Nächstes passieren könnte“ die Kurve mit unterschiedlichen Verzögerungen und in unterschiedlicher Intensität: Wir haben festgestellt, dass politische Trends, die aus Nachrichten über aktuelle geldpolitische Maßnahmen abgeleitet werden, tendenziell mit zeitgleichen Veränderungen der Renditen von Staatsanleihen einhergehen. Sie geben also Auskunft darüber, was gerade passiert. Im Gegensatz dazu sind zukunftsgerichtete Nachrichten über Zinsprognosen, makroökonomische Aussichten oder Marktkommentare mit Unsicherheit verbunden und beeinflussen die Erwartungen der Marktteilnehmer schrittweise über längere Zeit.
Max: Der eigentliche Clou – und unserer Meinung nach eine wichtige Erkenntnis für Investoren – ist, dass durch die Extraktion zukunftsgerichteter Informationen robuste Signale für künftige Renditeschwankungen liefert. Dies gilt insbesondere für kurze Laufzeiten. Wenn man also diese vorausschauende Stimmung effektiv isolieren und messen kann, hat sie eine Vorhersagekraft, die für Anlageentscheidungen, wie dem Durationsmanagement, von großem Wert sein kann.
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Was sind Large Language Models?
Ein Large Language Model (LLM) ist ein KI-Modell, das mit enormen Mengen an Textdaten trainiert wurde, um natürliche Sprache zu verstehen und zu generieren. Es kann Texte analysieren, Zusammenhänge erkennen und menschenähnliche Antworten formulieren.
Künstliche Intelligenz und Large Language Models (LLMs) sind derzeit in aller Munde. In Eurem Paper wird der Einsatz von LLMs erwähnt. Wie passen sie in diese Forschung und wie helfen sie Euch?
Matthias: Das stimmt, LLMs sind ein zentraler Bestandteil unserer Methodik. Es handelt sich dabei um dieselben Modelle, die auch Technologien wie ChatGPT antreiben. Wir haben diese Sprachmodelle (LLMs) instruiert, eine kontextbezogene Analyse von Schlagzeilen im Zusammenhang mit der US-Notenbank durchzuführen. Insgesamt wurden mehr als eine halbe Million relevanter Artikel danach klassifiziert, ob die implizierte geldpolitische Haltung restriktiv (hawkish), expansiv (dovish) oder neutral war. Zusätzlich identifizierte das Modell, ob sich die Informationen in erster Linie auf aktuelle politische Maßnahmen oder auf mögliche zukünftige Entwicklungen beziehen.
Max: Die Stärke von LLMs liegt hier in ihrer Fähigkeit, die Nuancen der menschlichen Sprache in einem Umfang und einer Geschwindigkeit zu analysieren, die für Menschen unmöglich wären. Selbst subtile Hinweise, die auf zukünftige Absichten im Gegensatz zu aktuellen Handlungen hindeuten, werden erkannt und zielgerichtet interpretiert. Durch die Auswertung riesiger Datenmengen lassen sich somit Trends in der geldpolitischen Ausrichtung ableiten, die auf der Intensität von hawkisher und dovisher Medienberichterstattung beruht.
Das klingt sehr innovativ. Allerdings gibt es bei LLMs oft Bedenken, ob sie die Informationen wirklich verstehen oder ob die Modelle ihre Einschätzungen möglicherweise vom Kapitalmarktgeschehen nach der Veröffentlichung der Nachrichten ableiten. Wie habt Ihr dies in Eurer Forschung berücksichtigt?
Matthias: Das ist ein sehr wichtiger Punkt, den wir entsprechend ernst genommen haben. Wir haben mehrere Schritte unternommen, um dem Risiko eines sogenannten „look-ahead bias“ entgegenzuwirken. Am wichtigsten ist, dass unsere Modellinstruktionen so gestaltet sind, dass sie niemals nach den Zukunftserwartungen des Modells fragen. Wird das Modell beispielsweise angewiesen, die erwarteten Auswirkungen einer bestimmten Schlagzeile auf künftige Kursbewegungen einzuschätzen, kann dies zu einer Verbindung zwischen einem bestimmten historischen Ereignis und den nachfolgenden Marktreaktionen führen. Infolgedessen würden sich die Prognosefähigkeiten des Modells verschlechtern, sobald es mit neuen und zuvor ungesehenen Nachrichtenereignissen konfrontiert wird. Stattdessen weisen wir das LLM explizit an, lediglich die vermittelte Tonalität bzw. politische Haltung (hawkish, dovish, etc.) aus den bereitgestellten Nachrichteninformationen zu identifizieren. Die Aufgabe bleibt rein textbezogen. Die Interpretationsfähigkeit des Modells kann nicht davon profitieren, die Renditen von morgen zu kennen.
Max: Wir haben die Schlagzeilen anonymisiert, um die Konsistenz des Modells zu testen. Unsere Analyse ergab keine Unterschiede in den Klassifizierungen des Modells zwischen den ursprünglichen und den anonymisierten Schlagzeilen, was die Hypothese widerlegt, dass das Modell historische Ereignisse abruft, um eine politische Haltung abzuleiten. Noch wichtiger ist, dass wir unsere Analyse mit dem älteren Modell GPT-3.5 wiederholt haben, um einen längeren Zeitraum außerhalb der Trainingsdaten zu erhalten. Die Ergebnisse auf der Grundlage von GPT-3.5 bleiben statistisch signifikant und stimmen mit unseren Ergebnissen mit dem aktuellen GPT-4o überein.
Das sind solide Überprüfungen. Was sind also die praktischen Schlussfolgerungen für institutionelle Anleger, die sich mit Ihren Ergebnissen befassen? Wie könnten diese Erkenntnisse angewendet werden?
Max: Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die systematische Analyse zukunftsgerichteter Zentralbanknachrichten zu einer präziseren Zinsprognose führt. Für das Portfoliomanagement kann dies Entscheidungen über Zinserwartungen und damit über die Durationssteuerung beeinflussen. Wenn der zukünftige Trend eine restriktivere oder expansivere Haltung signalisiert, als derzeit vielleicht eingepreist ist, ist das ein wertvoller Informationsvorsprung, von dem auch unsere Anleger profitieren können.
Matthias: Diese Informationen wollen wir im Rahmen unserer innovativen Global Data Sentiment-Strategie nutzen. Diese Multi-Asset-Strategie ist ein regelbasierter, KI-gesteuerter Ansatz, der täglich Millionen von Nachrichten in Handelssignale für verschiedene Anlageklassen umwandelt. Wir haben unseren vorgestellten Ansatz für die US-Notenbank auf mehrere G7-Zentralbanken ausgeweitet, um aus zentralbankspezifischen Trends Allokationssignale für verschiedene Bonds-Futures abzuleiten.
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Mit Quoniam Nachrichten in Rendite umwandeln
Quoniam Global Data Sentiment ist eine liquide Long/Short-Strategie, die marktbewegende Stimmungsschwankungen identifiziert und darauf reagiert, bevor sie eingepreist werden, indem sie unstrukturierte Nachrichtenströme analysiert, um wichtige Investitionssignale zu identifizieren. Unser Prozess beginnt mit über 1 Million Geschichten, die in über 50.000 Themen unterteilt sind und täglich erfasst werden. Der Ansatz des neuronalen Netzwerks zur Dimensionsreduktion hilft uns bei der Auswahl der günstigsten der 50.000 Themen und verschafft uns einen Vorteil bei der Extraktion der besten Renditesignale. Die Strategie ist seit über drei Jahren in Kraft und hat vielversprechende Ergebnisse gezeigt.
Wie seht Ihr angesichts der rasanten Fortschritte in der KI die Entwicklung dieser Art von Forschung? Und gibt es weiterreichende Auswirkungen auf die Asset-Management-Branche?
Max: Der Bereich entwickelt sich unglaublich schnell. Wir können davon ausgehen, dass LLMs ihr Verständnis komplexer Finanzzusammenhänge noch weiter verfeinern werden. Dies könnte zu detaillierteren Erkenntnissen führen, beispielsweise bei der Identifizierung von Unsicherheitsfaktoren in der Unternehmenskommunikation. Für die Branche bedeutet dies, dass KI zu einem unverzichtbaren Werkzeug für die Informationsverarbeitung und Alpha-Generierung wird.
Matthias: Stimmt. Die Fähigkeit, riesige Mengen unstrukturierter Daten wie Nachrichten und offizielle Mitteilungen zu verarbeiten und daraus aussagekräftige, vorausschauende Signale zu extrahieren, ist eine bedeutende Veränderung. Sie ermöglicht einen dynamischeren und rein datengetriebenen Ansatz für das Investmentmanagement. Man darf jedoch nicht vergessen, dass es sich dabei um Werkzeuge handelt. Menschliche Kontrolle, Fachwissen und ein Verständnis für die Ergebnisse und Grenzen der Modelle sind nach wie vor unverzichtbar.
Das ist ein passender Schlusspunkt. Matthias und Max, vielen Dank für diese wertvollen Erkenntnisse aus Eurer Forschung. Wir haben erfahren, dass wir durch die Unterscheidung zwischen aktuellen und zukunftsgerichteten Nachrichten und durch die Nutzung von KI ein viel tieferes Verständnis der Zentralbankkommunikation und ihrer Auswirkungen auf die Märkte gewinnen können.