Marktkommentar Anleihen: Eine neue Makrowelt
Die globale politische und wirtschaftliche Landschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel, der sowohl in den USA als auch in Europa deutliche Auswirkungen zeigt. In seinem Marktkommentar beleuchtet Dr. Harald Henke, Head of Fixed Income, den Einfluss von steigenden Zinsen, Inflation und geopolitische Spannungen auf Ihr Portfolio.


Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income
In unserem letzten Quartalsartikel diskutierten wir die Unsicherheit bezüglich der politischen Entwicklung unter der neuen US-Regierung. Nach drei Monaten lässt sich feststellen, dass die Änderungen fundamentaler sind, als der Markt erwartet hat. Dies hat sich bereits in nicht vorhersehbarer Weise auf politische Entscheidungen in Deutschland und Europa ausgewirkt. Entsprechend weitreichend waren die Bewegungen an den Märkten.
Politisches Umfeld
Die neue US-Regierung hat zahlreiche Weichen zu stellen im Hinblick auf Thema wie das geopolitische Umfeld (insbesondere in Osteuropa und im Nahen Osten), die überbordenden Staatsausgaben, Immigration und die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft. Während diverse Initiativen angestoßen worden sind, fehlt es an vielen Stellen noch an belastbaren Ergebnissen, die eine tiefergehende Einschätzung erlauben. Dennoch lassen sich bereits einige Schlüsse ziehen:
- Immigration: Während dieses hochpolitisierte Thema nach wie vor kontrovers diskutiert wird und Maßnahmen zur Stärkung der Südgrenze der USA umgesetzt wurden, blieben Massendeportationen oder eine dramatische Verschärfung der Arbeitsmarktsituation aus. Damit ist die Arbeitsmarktsituation in den USA weniger kritisch als es von Analysten in einem Worst Case-Szenario befürchtet wurde.
- Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft: Auch hier gab es vereinzelte initiale Maßnahmen wie Lockerungen für die Ölförderung und einzelne Verschärfungen insbesondere für chinesische Wettbewerber. Das Thema Zölle ist bisher nach wie vor in der Ausarbeitungsphase. Während Präsident Trump mit Zolldrohungen nicht sparsam umgegangen ist (in der Erwartung, Gegenangebote zu erhalten, die eine Verbesserung der relativen Wettbewerbsfähigkeit von US-Unternehmen darstellen, wie es Trumps Stil ist), ist bisher nicht absehbar, ob die Taktik erfolgreich ist und die Welt am Ende der Verhandlungen in ein Regime niedrigerer Zölle eintritt, oder ob sich die Seiten verhärten und wir im Endeffekt in einem Umfeld höherer Zölle für alle landen. Davon werden die Implikationen für die Weltwirtschaft sehr stark abhängen.
- Staatsfinanzen: Hier gab es definitiv den größten Fortschritt. Während das Department of Government Efficiency durch die Ausgaben geht und zahlreiche Regierungsbehörden geschlossen und Arbeitsplätze abgebaut hat, ist der Eindruck entstanden, dass erstmalig seit langer Zeit die vollkommen aus dem Ruder gelaufene US-Staatsverschuldung ernst genommen wird. Präsident Trumps Vorschlag, das Budget des US-Verteidigungsministeriums über die nächsten Jahre zu halbieren, ist historisch betrachtet beispiellos. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Initiativen in die Realität übersetzen oder ob vieles davon irgendwann im Sand verläuft.
- Geopolitik: Während zunächst der Eindruck entstanden ist, dass die Regierung versucht, die großen Konflikte auf der Welt zu beenden, laufen die USA Gefahr, insbesondere im Nahen Osten mit ihrer Taktik des maximalen Drucks in eine Sackgasse zu geraten und in einen Krieg gegen Iran zu geraten – mit katastrophalen Auswirkungen für alle potenziellen Kriegsparteien, die Region und die Weltwirtschaft. Während die Verhandlungen in der Ukraine Grund für vorsichtigen Optimismus im Hinblick auf ein mittelfristiges Ende des Krieges geben, ist eine starke Spaltung zwischen den USA und Europa entstanden, die in Europa zu einer Neuausrichtung der Verteidigungsstrategie geführt hat. Während Details bisher fehlen, dürfte diese Neuausrichtung zu einer selbständigeren europäischen Politik führen.
Auswirkungen auf die USA und Europa
Die Auswirkungen nach gut zwei Monaten unter der neuen US-Regierung sind immens und werden, vor allem in Europa, vermutlich noch nicht in all ihren Dimensionen verstanden.
Die EU und auch Deutschland diskutieren Hunderte Millarden Euro schwere Rüstungs- und Infrastrukturausgaben. Dazu ist die Schuldenbremse in Deutschland gelockert und Jahrzehnte konservativer Fiskalpolitik aufgegeben worden. Dies hat profunde Auswirkungen auf das längerfristige Inflations- und Zinsniveau in Europa. Gerade Rüstungsausgaben schaffen Nachfrage, denen keine Konsumgüter und Vermögenswerte gegenüberstehen, was zu höheren Inflationsraten führt. Dies wiederum wird das Zinsniveau in die Höhe treiben. Während Staatsausgaben in Höhe ihrer Ausgaben in die BIP-Berechnung einfließen, geben die längerfristigen Auswirkungen von Schulden und Schuldendynamik Grund zur Sorge. Nicht nur wird der Großteil der Ausgaben schuldenfinanziert sein, auch die Durchsetzung von Schuldengrenzen wie den Maastricht-Kriterien wird auf europäischer Ebene nach diesem Präzedenzfall nicht möglich sein. Längerfristig droht Europa eine Spirale aus Überschuldung und Inflation.
In den USA sind die mittelfristigen Dynamiken noch nicht abzusehen und hängen davon ab, wie sich die oben diskutierten Entwicklungen materialisieren. Relativ wahrscheinlich ist eine Art Anpassungsrezession in der die Kürzungen im Staatshaushalt, die mittelfristig Wachstumskräfte stärken dürften, kurzfristig auf Stimmung und gesamtwirtschaftliche Nachfrage drücken werden. Auch der vermeintlich starke US-Arbeitsmarkt war zuletzt vor allem ein staatliches Phänomen. So waren ein Großteil der 2024 laut Household Survey geschaffenen Stellen im Regierungssektor angesiedelt, eine nicht dauerhaft finanzierbare Entwicklung.
Zinsentwicklung und Inflationserwartungen
Entsprechend deutlich waren die Marktentwicklungen. Die deutschen Zinsen sind nach Bekanntgabe der Fiskalpläne in die Höhe geschossen, die Zinskurve ist deutlich steiler geworden.
Abbildung 1: Zinsstrukturkurve in Deutschland
Wie aus der Grafik ersichtlich ist, haben sich die Zinsen über die gesamte Kurve hinweg – bis auf das ganz kurze Ende – über Q1 hinweg deutlich erhöht. Die Zehnjahreszinsen stiegen um 37 Basispunkte von 2,37 % auf 2,74 %. Die Differenz zwischen zwei- und zehnjährigen Zinsen stieg von 29 auf 69 Basispunkte im Einklang mit der Erwartung höherer Inflation. Nur am kurzen Ende fielen die Zinsen deutlich, was nahelegt, dass der Markt aufgrund der globalen Wachstumssorgen weitere Zinssenkungen in der Eurozone sieht.
In den USA hingegen war eine andere Zinsdynamik zu konstatieren.
Abbildung 2: Zinsentwicklung in den USA
Die Zinsen in den USA haben sich von den europäischen Zinsen komplett entkoppelt und sind über das Quartal deutlich gefallen. Der Trend von Invertierung zu Versteilerung der Kurve hat sich fortgesetzt, auch wenn diese Bewegung zuletzt etwas ins Stocken geraten ist.
Auch die Fed hat in ihren Erwartungen keine Änderungen vorgenommen. Die Erwartungen der Mitglieder, ausgedrückt in den Dot Plots der Fed, waren im März unverändert im Vergleich zu Dezember. Die Fed betonte zwar Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung, sah die aktuelle politische Entwicklung aber gelassener als erwartet.
Die konjunkturellen Frühindikatoren in den USA wie das Verbrauchervertrauen trübten sich zuletzt ein im Einklang mit der erwarteten konjunkturellen Abschwächung. In Deutschland hingegen waren die Erwartungen im Hinblick auf höhere Inflationsraten und Zinsen deutlich an den Stimmungsindikatoren des ZEW abzulesen.
Abbildung 3: Stimmungsindikatoren in Deutschland – Inflation und Zinsen
Die Märzzahlen des ZEW sahen eine Erhöhung des Anteils der Finanzmarktanalysten, die die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland positiver als zuvor sehen. Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, war ein großer Sprung in Hinblick auf höhere Zinsen und Inflationsraten zu sehen. Während der Saldo derjenigen, die Inflationssorgen haben, noch nahe null ist, sieht eine deutliche Mehrheit höhere Zinsen als das wahrscheinlichste Szenario an. Entsprechend dürfte die Zinsentwicklung in der Eurozone über die nächsten Quartale im Fokus stehen. Einzelne Schätzungen sagen bereits einen Angleich des zehnjährigen Zinsniveaus zwischen Deutschland und den USA voraus.
Credit-Spreads
Abbildung 4: Credit-Spreads in Euro und USD
Auch auf der Spread-Seite gab es bemerkenswerte Entwicklungen. Sowohl im Investment-Grade (IG)- als auch im High-Yield (HY)-Bereich sind die USD-Spreads nach drei Jahren wieder über das Niveau der Euro-Spreads geklettert – wo sie aufgrund der längeren durchschnittlichen Restlaufzeit und der etwas schwächeren Bonität im USD-Bereich historisch immer zu finden waren. Mit der deutlich schwächeren Wachstumsdynamik in Europa seit 2022 und der geopolitischen Risikoprämie des Kontinents hatte sich diese Entwicklung umgekehrt1, und Credit-Spreads in Europa waren auf einem höheren Niveau als US-Spreads.
Während Rüstungsunternehmen und solche, die von staatlichen Projekten profitieren, klare Gewinner im März waren, liefen zinssensitive Sektoren wie Immobilienunternehmen dem Markt hinterher. Auch in den nächsten Quartalen dürfte das Potenzial für Titelselektion hoch sein: Unternehmen, die schwerpunktmäßig in Europa verkaufen und bei denen die neuen Staatsausgaben tendenziell zuerst ankommen, dürften zu den Gewinnern gehören, während Exportunternehmen in zinssensitiven Sektoren prinzipiell Gegenwind zu meistern haben.
Fazit
Die Welt ist im Umbruch, und auch die politische Landschaft in Europa und den USA vollzieht fundamentale Änderungen. Während die Details noch unklar sind, ist der Trend zu höheren Zinsen und Inflationsraten und – zumindest kurzfristig – höheren Wachstumsraten in Europa naheliegend. Wie Inflation in Europa und abschwächende Wachstumsdynamik in den USA sich gegenseitig beeinflussen werden, bleibt abzuwarten. Investoren sollten im aktuellen Marktumfeld Risiken genau kennen und die Potenziale der Einzeltitelselektion nutzen.
- Eine detaillierte Analyse der Gründe findet sich in unserem Artikel „Warum sind EUR Credit-Spreads seit 2022 höher als USD Credit-Spreads?“. ↩︎