Marktkommentar Aktien: NVIDIA und die Konzentration an den Aktienmärkten
Die Aktienmärkte im Jahr 2023 standen bislang im Zeichen eines neuen Megatrends: Künstliche Intelligenz (KI) oder Artificial Intelligence (AI). Das Thema ist damit ein weiterer Auslöser der historischen Konzentrationswelle an den globalen Aktienmärkten. Historische Vergleiche zeigen, wie extrem der Markt aktuell durch ein einzelnes Thema getrieben wird.
Mark Frielinghaus, CFA
Portfolio Manager Equities
Waren Technologieaktien bereits in den Jahren der Pandemie die wesentlichen Treiber positiver Aktienmärkte, hat sich dieser Trend im Jahr 2023 durch die Erwartungen an die Zukunftstechnologie AI nochmals verstärkt. Stellvertretend für diese Entwicklung steht vor allem die NVIDIA-Aktie. Hier kommen verschiedene Faktoren zusammen. Allen voran der Wachstumsmarkt künstliche Intelligenz, der den Wandel in allen Wirtschaftsbereichen antreibt. Hierfür liefert der Grafikkartenhersteller NVIDIA die notwendigen schnellen Speicherchips, deren Nachfrage rasant ansteigt. Automatisierte Empfehlungssysteme, Spracherkennung oder medizinische Bildgebung sind nur einige Einsatzgebiete dieser Halbleiter, beispielsweise in der Automobil- oder Medizinindustrie. Weiterhin profitiert der Chip-Produzent vom Wachstum in der Spieleindustrie und dem Metaverse.
Nachdem NVIDIA die Ergebnisprognose in diesem Jahr deutlich erhöht hat, ist der Aktienkurs geradezu exponentiell angestiegen. Mittlerweile hat NVIDIA im laufenden Jahr eine Rendite von 190%(!) erreicht. Kursziele von Analysten haben sich innerhalb weniger Wochen verdoppelt, die Marktkapitalisierung stieg auf über 1 Billion USD, was bislang lediglich 5 Unternehmen erreichten. Die Kursentwicklung der vergangenen 5 Jahre beträgt nun über 500%. Hier mag man sich fragen, wie tragfähig diese Kursanstiege sind.
Hoher Kurszuwachs einiger weniger Titel
Schaut man sich die Renditeverteilung der globalen Aktienmärte an, fällt die enorme Konzentration bei wenigen Titeln mit positiver Performance auf. Insgesamt bleibt die Wertentwicklung des Aktienmarkts im laufenden Jahr verhalten. Gemessen an der Rendite des gleichgewichteten globalen MSCI Index beträgt der Kurszuwachs lediglich 6% zum Ende des 1. Halbjahres. Noch bis Anfang Juni lag dieser Wert nahezu unverändert zum Vorjahr. Dagegen erzielte der nach Marktkapitalisierung gewichtete Index bereits eine Rendite von 15%. Das heißt: Innerhalb der Indextitel besteht ein starkes Renditegefälle von großen zu kleinen Werten. Hinzu kommt ein starker Sektoreffekt. Technologietitel erreichen 2023 enorm hohe Renditen. So liegt der NASDAQ 100 Index im laufenden Jahr bei rund 39% Wertentwicklung. NVIDIA sticht hierbei mit 190% nochmals deutlich heraus.
Abbildung 1: YTD-Performance globaler Indizes und NVIDIA
Noch extremer fällt das Bild aus, wenn man die Indexrendite anhand der gewichteten Beiträge einzelner Aktien zerlegt. Im ersten Halbjahr erzielte der MSCI World eine Rendite von 15% (in USD). Hierbei wurden 7,3% dieser Wertentwicklung ausschließlich durch NVIDIA, Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon und Meta erzielt. Die restlichen 1.500 Indextitel trugen dagegen eine Rendite von 8% bei.
Goldgräberstimmung im KI-Bereich
Auch innerhalb der Technologietitel zeigt sich eine Spreizung je nach Nähe zum AI-Trend. So profitieren die Big-Tech-Unternehmen wie Apple, Meta, Amazon und Microsoft neben NVIDIA besonders stark, da sie künftig hohe Investitionen in diese Zukunftstechnologie tätigen. Damit werden sie in den nächsten Jahren zu den Hauptabnehmern von NVIDIA, sofern das Unternehmen die Ausnahmeposition im Halbleitersegment verteidigen kann. Da NVIDIA die „Werkzeuge“ für das Zukunftsmodell AI vertreibt, lässt sich der bewährte Vergleich mit dem Goldrausch und dem Schaufeln herleiten. Je mehr Unternehmen auf den AI-Zug aufspringen, umso erfolgreicher kann NVIDIA seine Produkte vertreiben.
Abbildung 2: YTD-Performance US-amerikanischer Indizes und ausgewählter Technologieaktien
Die Outperformance der Technologiebörse NASDAQ gegenüber den marktbreiten Indizes verdeutlicht den klaren Sektorbezug zu Technologie und insbesondere Artificial Intelligence. Interessanterweise lässt sich im Jahr 2023 mutmaßlich von einem KI-Bezug direkt auf die Wertentwicklung nahezu aller Sektoren schließen. Abbildung 3 zeigt zunächst, inwiefern KI für Unternehmen bestimmter Branchen eine Relevanz aufweist, gemessen an der Anzahl der Erwähnungen des Begriffs bei der Präsentation der Unternehmenszahlen. Erwartungsgemäß sind vor allem Technologieunternehmen, Medientitel und Onlinehändler bereits stark in diesem Bereich engagiert. Vergleicht man nun die Renditeverteilung der Sektoren in 2023 fällt eine deutliche Korrelation auf. Branchen mit eher geringem Bezug zu AI-Technologien, wie Versorger, Minenwerte, Ölwerte und Nahrungsmittelhersteller schneiden im laufenden Jahr am schwächsten ab, teilweise mit negativen Renditen, während Technologie- und Onlineaktien haussieren.
Abbildung 3: AI-Bezug in Earnings Calls, Sektorrenditen YTD
Das Thema künstliche Intelligenz ist damit ein weiterer Auslöser der historischen Konzentrationswelle an den globalen Aktienmärkten. Nach dem Platzen der TMT-Blase im Jahr 2000 pendelte sich die Konzentration gemessen am Gewicht der 10 größten Titel am Aktienmarkt auf einem Niveau zwischen 10% und 12% ein. Seit einigen Jahren steigt die Konzentration getrieben durch die stark wachsenden Gewinne aber auch die ambitionierten Bewertungen der führenden Technologieaktien wie Apple, Microsoft, Google, etc. deutlich an. Diese Entwicklung verstärkte sich in der Covid-Pandemie nochmals, da viele Geschäftsmodelle gezwungenermaßen in die digitale Welt verlagert wurden.
Nach einer kurzen Korrektur im Jahr 2022 hat sich im laufenden Jahr durch das Thema KI eine erneute Kursrallye etabliert, die das Konzentrationsmaß auf ein historisches Hoch von rund 22% ansteigen ließ. Die belegt auch die Auswertung für das gemeinsame Gewicht der 5 größten Werte im amerikanischen S&P 500 Index. Die aktuell erreichten Konzentrationsmaße ließen sich bislang nur in den 1970er Jahren beobachten als eine Handvoll Unternehmen, die sogenannten „Nifty Fifties“ den Aktienmarkt anführten, während der breite Markt auch damals zurückblieb. Anschließend nahm die Konzentration über das folgende Jahrzehnt deutlich ab, was mit einer erheblichen Underperformance der Indexschwergewichte einherging.
Abbildung 4: Konzentration am Aktienmarkt im historischen Vergleich
Hohes Bewertungsniveau – Materialisierung steht aus
Historische Vergleiche zeigen, wie extrem der Markt aktuell durch ein einzelnes Thema getrieben wird und senden Warnsignale für künftige Renditen. Das aktuelle Bewertungsniveau ist auf langjährigen Höchstständen. Die aktuelle Gewinnrendite des NASDAQ Index (inverses Kurs-Gewinn-Verhältnis) beträgt nur noch 3,4%, nach immerhin 4,5% zu Jahresbeginn. Dies ist im historischen Vergleich eine außerordentlich niedrige Verzinsung, um Aktienmarktrisiken einzugehen. Verschärft wird die Situation durch das gleichzeitig deutlich gestiegene Zinsniveau bei festverzinslichen Anlagen, welches mittlerweile Renditen von über 5% in den USA und anderen Regionen verspricht. Auch der Preis-Buchwert des NASDAQ von über 7 zeigt das Ausmaß der gegenwärtigen Bewertung.
Noch viel extremer sind die Relationen bei NVIDIA. Hier beträgt das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis 205 und der Preis-Buchwert 42. Das heißt bei aktuellen Gewinnen müsste ein Investor über 200 Jahre warten, um seinen Kapitaleinsatz zurückzubekommen! Anders ausgedrückt, selbst wenn das Unternehmen es schafft, in nächster Zeit seinen Jahresgewinn zu verzehnfachen, benötigt man immer noch 20 Jahre, um anhand der Erträge den Preis der Aktie zu erwirtschaften.
Alles in allem stecken in den gegenwärtigen Kursen enorme Wachstumsfantasien, die sich erst noch materialisieren müssen. Vorsichtige Anleger sind gut beraten weiterhin auf breit diversifizierte Portfolios zu setzen, um Klumpenrisiken zu vermeiden.