Marktkommentar Aktien: Aktienstrategien am Wendepunkt der Inflation

Im turbulenten Aktienjahr 2022 korrigierten die Indizes in Europa, den USA und den Schwellenländern deutlich. Auch 2023 richten sich weiterhin alle Augen auf die Zentralbanken. Mit welchen Stilen und Regionen Sie dennoch optimistisch aufs neue Jahr blicken können, schildern wir Ihnen in unserem Marktkommentar.

Mark Frielinghaus, CFA
Portfolio Manager Equities

Im Jahr 2023 richten sich weiterhin alle Augen auf die Zentralbanken. Der Erfolg von Aktienstrategien und Investmentstilen wird derzeit maßgeblich von den erwarteten Zinsschritten der Notenbanken in den USA und Europa sowie der Inflationsentwicklung in den Industrieländern bestimmt.

Ein turbulentes Aktienjahr 2022 ist schließlich zu Ende gegangen. Auf Jahressicht korrigierten die Indizes in Europa, den USA und den Schwellenländern deutlich.

Die europäischen Märkte konnten sich hierbei mit -9% unerwartet besser halten als die amerikanischen Börsen, der S&P 500 verlor knapp 20% auf Jahressicht. Schwellenländeraktien lagen mit -14,5% dazwischen. Schaut man auf die Sektoren, stechen die Energiewerte klar hervor, mit zweistellig positiven Renditen in Europa und den globalen Indizes. Mit deutlichem Abstand folgen Finanzwerte, die insgesamt ein leichtes Plus verzeichnen konnten. Auch konsumnahe Branchen, insbesondere Nahrungsmittelproduzenten, zeigten eine deutliche Abfederung im negativen Marktumfeld. Andererseits erlebten die wachstumsverwandten Sektoren teilweise deutlich stärkere Kursrückgänge als der Gesamtmarkt. Insbesondere in den US-Technologieunternehmen, aber auch in den Large Cap-Technologieaktien in China, gab es deutliche Kursrückgänge. Der IT-Sektor verlor über die Regionen hinweg ca. 30% an Wert. Entsprechende Auswirkungen zeigten sich bei den Stilrenditen im Jahr 2022. Growth und Small Caps fielen erheblich stärker und verloren bis zu 10% relativ zum Standardindex. Im Gegenzug hielten sich Value-Titel erheblich besser als der Gesamtmarkt. Dieses Muster ließ sich grundsätzlich in allen Regionen beobachten, war jedoch in den Märkten mit hohem Technologieexposure besonders ausgeprägt.

Nachdem im vergangenen Jahr Kursrückgänge von bis zu 25% an den globalen Aktienmärkten auftraten, hat das 4. Quartal für etwas Entspannung gesorgt. Die Stimmung der Investoren folgte insbesondere im zweiten Halbjahr kontinuierlich den Inflationstrends und den Kommentaren der Notenbanken zur künftigen Leitzinsentwicklung. Relevant ist die Höhe der Zinsen vor allem für Wachstumsaktien, also genau jene Titel, die in den vergangenen Jahren für neue Rekordstände an den globalen Aktienmärkten verantwortlich waren und in der Covid-Pandemie zusätzlich Schub durch oftmals online-basierte Geschäftsmodelle bekommen haben. Die Abhängigkeit wird transparent, wenn man die Entwicklung der 10-jährigen US-Anleiherenditen über die relative Wertentwicklung des Russel 1000 Growth zum Russel 1000 Value Index legt.

Abbildung 1: Relative Wertentwicklung von Wachstumstiteln im Umfeld steigender Zinsen
Quelle: Bloomberg

Die Gewichtung der Growth-Titel in den marktkapitalisierten Benchmarks hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Daher ist die schwache Wertentwicklung der Wachstumstitel auch maßgeblich für die negative Aktienrendite der passiven Marktindizes verantwortlich.

Warum reagieren Wachstumstitel derart sensibel auf die Zinserhöhungen der Zentralbanken?

Hierzu ist es sinnvoll, die Discounted-Cash-Flow-Bewertung von Growth-Aktien mit dem aktuellen risikofreien Zins sowie dem Zinsniveau vom Jahresanfang zu berechnen. Zum Jahresbeginn lagen die 10-jährigen US-Staatsanleiherenditen bei rund 1,5%, in der Spitze kletterten die Werte über 4%. Durch das hohe Wachstum entsteht ein signifikanter Anteil des Unternehmenswertes durch Gewinne, die erst in einigen Jahren erzielt werden. Der risikofreie Zins hat demnach, zuzüglich Risikoaufschlag, einen starken Einfluss auf den Diskontierungssatz dieser Erträge. Im Fall von bekannten Wachstumsunternehmen wie Netflix, Tesla, Alphabet und Meta führt dies zu Bewertungsabschlägen von durchschnittlich 40%, lediglich durch die Änderung des Zinsniveaus. Setzt man die theoretisch fairen Unternehmenswerte bei 4% Zins in Relation zum heutigen Aktienkurs, sind beispielsweise Netflix und Meta weiterhin deutlich überbewertet, obwohl beide Titel bereits mehr als 50% seit ihrem Allzeithoch im November 2021 abgegeben haben.

„Im Fall von bekannten Wachstumsunternehmen wie Netflix, Tesla, Alphabet und Meta führt dies zu Bewertungsabschlägen von durchschnittlich 40%, lediglich durch die Änderung des Zinsniveaus.“

Mark Frielinghaus
Portfolio Manager Equities

Die genannten Index-Schwergewichte sind jedoch kein Einzelfall. Schaut man sich das Bewertungsverhältnis von teuren Wachstumsaktien im Vergleich zu günstigen Value-Aktien im Zeitverlauf an, ergibt sich eine weiterhin überdurchschnittlich teure Bewertung.

Abbildung 2: Bewertung von Wachstumstiteln im regionalen Vergleich
Quelle: Datastream, IBES, Quoniam Asset Management. Value Spread ist gemessen als P/B von teuren Wachstumsaktien relativ zu günstigen Value-Aktien.

Regional fallen hierbei deutliche Unterschiede auf. So zeigt sich der europäische Markt vergleichsweise teuer für Wachstumstitel, während die Korrektur in den US-Aktien sowie in den Schwellenländertiteln etwas weiter fortgeschritten ist. Die ist vor allem durch die unterschiedlichen Marktstrukturen in diesen Märkten bedingt. Sowohl der amerikanische als auch die asiatischen Märkte in China, Taiwan und Korea beinhalten eine Vielzahl von Technologietiteln, welche durch den signifikanten Preistauftrieb in den Jahren vor der Covid-Pandemie einen herausragenden Anteil an der Indexwertentwicklung haben. Durch die Lockdowns und weitere Verschiebungen von physischen Geschäftsmodellen in den Onlinebereich haben sich in diesem Segment spekulative Bewertungen entwickelt. In den vergangenen 12-18 Monaten korrigierten die betroffenen Werte deutlich, sodass am US- und in den EM-Märkten eine stärkere Einengung der Bewertungsdifferenzen zwischen Wachstums- und Substanzwerten stattfand.

In Europa zeigten sich die Wachstumswerte aus Branchensicht etwas diversifizierter und setzten sich sowohl aus wenigen Technologieaktien, aber vor allem aus Titeln des Gesundheitssektors, dem Nahrungsmittelbereich und Luxusgütern zusammen. Im Jahr 2022 wurde im Rahmen der Inflation und der Zinserhöhung auch eine Rezession immer wahrscheinlicher. Dies zeigt sich beispielsweise an der gegenwärtigen Inversion der Zinsstrukturkurven. Da Unternehmen aus dem Gesundheits- und Basiskonsumgüterbereich aber konjunkturunabhängig relativ stabile Erträge generieren, haben sich die europäischen Wachstumstitel im gegenwärtigen Abwärtstrend besser gehalten.

Ausblick: Vorsichtig optimistisch

Um abzuschätzen, wie sich die Märkte 2023 verhalten werden, ist ein Blick auf die historische Aktienperformance im Falle von invertierten Zinskurven hilfreich. In den vergangenen 50 Jahren lassen sich sechs solcher Zinskonstellationen finden. Es zeigen sich bei Entstehung der Kurveninversion deutliche Korrekturen des Aktienmarktes von durchschnittlich -20%. In den folgenden 12-18 Monaten jedoch konnte im Durchschnitt eine positive Aktienmarktrendite von rund 5% erreicht werden. Lediglich in den Phasen der Ölkrise 1973 sowie beim Platzen der TMT-Blase zur Jahrtausendwende hielten die negativen Markttendenzen auch nach der Inversion für weitere ein bis zwei Jahre an. Schaut man sich den gegenwärtigen Zustand der Aktienmärkte mit annähernd 20% Kursrückgang an den amerikanischen Leitbörsen an, gibt es also durchaus Anlass für vorsichtigen Optimismus.

Ein weiteres Indiz dafür ist die allgemein pessimistische Stimmung und die Positionierung der institutionellen Investoren, die in der Regel als Kontraindikator für einen Wendepunkt gilt. Gemessen am CME Trades Net Positioning, also an den Salden der Terminkontrakte auf den S&P 500, wurde 2022 ein langjähriger Tiefpunkt erreicht, das heißt der Umfang von Kontrakten, welche auf fallende Kurse setzen, überstieg deutlich den Umfang von Derivaten, die auf steigende Kurse setzten. Seit der Euroschuldenkrise im Jahr 2011 war das Sentiment gemessen an den Derivatepositionen nicht mehr so negativ wie im vergangenen Jahr 2022. Was den Optimismus etwas dämpft, sind die ambitionierten Bewertungen des amerikanischen Aktienmarkts, gemessen beispielsweise an den 10-Jahres-Kurs-Gewinn-Verhältnissen oder auch an den realen Überrenditen der Aktien gegenüber inflationsgeschützten Anleihen. Bei Letzteren bewegen wir uns zwar immer noch leicht im positiven Bereich, der Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre war jedoch um ein Vielfaches höher als zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Glücklicherweise bieten sich andere Aktienmarktregionen neben den USA mit deutlich günstigeren Bewertungskennziffern an, um attraktive Renditen insbesondere im Vergleich zu festverzinslichen Anlagen zu erzielen. Regional betrachtet stechen hier die europäischen Aktienmärkte sowie die Schwellenländeraktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 12, geschätzt für die künftigen 3 Bilanzjahre und das zuletzt berichtete Geschäftsjahr, hervor. Übersetzt bedeutet das eine Gewinnrendite von über 8%. Da in beiden Regionen die Zinssätze aktuell tendenziell etwas niedriger ausfallen als in den USA, bieten sich hier attraktive Anlagemöglichkeiten.

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