Marktkommentar Aktien: Märkte trotz hoher Bewertungen und Inflationssorgen im Aufwind – die nächsten Schritte der Zentralbanken werden erwartet

Die Aktienmärkte wurden durch die Liquidität angekurbelt, die hohen Bewertungen deuten aber auf einen möglichen Rückschlag hin. Dem Kampf der Fed gegen die Inflation stehen die Schwäche der regionalen Banken und die Lohn-Preis-Spirale gegenüber, was den Inflationsdruck weiter verstärkt. In unserem Marktkommentar ziehen wir Parallelen zu historischen Bewertungen und untersuchen die Position der Zentralbanken im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld.

Andjelka Bannes, CFA
Executive Director Equities

Die Aktienmärkte verzeichneten im ersten Quartal 2023 ein starkes Plus. Der MSCI World, der MSCI Europe und der MSCI EM legten um 5,83%, 8,61% bzw. 2,12% zu (alle in EUR). Die Rallye begann im Oktober 2022, seither hat der S&P 500 fast 20% zugelegt. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) und anderer regionaler Kreditgeber im März haben zu einem erheblichen Liquiditätszufluss geführt und damit die Rallye weiter vorangetrieben. Der Zusammenbruch der SVB und die anschließenden Folgen – einschließlich der erzwungenen Fusion von Credit Suisse und UBS – bestärken die Anleger in dem Glauben, dass die US-Notenbank die Zinssätze nicht weiter anheben wird, um die Inflation zu bekämpfen. Short-Eindeckungen im Technologiesektor und sinkende Inflationszahlen haben zusätzlich zur Rallye beigetragen.

In Bezug auf Sektoren und Stile profitierten Growth-Werte/Large-Cap-Tech-Werte von der Liquiditätszufuhr und der Neubewertung der Renditekurve und legten gegenüber dem breiteren Markt um 7,24% zu. Auch Quality-Werte schnitten, wenn auch in geringerem Maße, besser ab. Value und Momentum waren die schwächsten Faktoren, der Energie- und der Bankensektor gaben ab. Defensiv ausgerichtete Titel schnitten ebenfalls schlechter ab, da die Anleger in Growth-Aktien umschichteten.

Der Beginn eines neuen Bullenmarktes oder ist dies eine falsche Morgendämmerung?

In Bärenmärkten müssen wir unsere Perspektive in mehrfacher Hinsicht ändern. So kann eine „Aufwärtsbewegung“ als Reaktion betrachtet werden, da sie sich gegen den Haupttrend richtet. In einem Bärenmarkt wird jeder Rückgang durch eine sekundäre Reaktion unterbrochen, die in zwei oder drei Phasen erfolgen kann. So verlor der Nasdaq beispielsweise 84% während des 30-monatigen Platzens der Tech-Blase von März 2000 bis Oktober 2002. Im gleichen Zeitraum gab es jedoch sieben Phasen, in denen der Nasdaq um 24%, 42%, 24%, 25%, 31%, 51% bzw. 59% anstieg. Im gleichen 30-Monats-Zeitraum fiel der S&P 500 um 51%, verzeichnete aber mindestens viermal einen Anstieg von über 20%. Es ist also möglich, selbst in einem Bärenmarkt erhebliche positive Bewegungen zu verzeichnen.

Abbildung 1: Nasdaq Index – Sieben Erholungen im Bärenmarkt zwischen 2000 und 2002
Quelle: Bloomberg

Natürlich besteht in jedem Bärenmarkt immer die Möglichkeit, dass sich die Rallye als primäre Umkehr erweist. Man steigt nie zweimal in denselben Fluss, aber das Echo der Vergangenheit kann uns Hinweise auf die Zukunft geben.

Aktuelle Bewertungen bleiben im historischen Vergleich hoch

Im Laufe der Geschichte haben wir vier bemerkenswerte Superblasen erlebt, die sich nachhaltig auf die Weltwirtschaft ausgewirkt haben.

  • Die erste war die Große Depression Anfang der 1930er Jahre, die drei Jahre andauerte und den Dow Jones Industrial Average (DJIA) um unglaubliche 89% einbrechen ließ, von einem Höchststand von 381 im September 1929 auf einen Tiefststand von 41 im Juli 1932.
  • Die zweite Superblase war der Zusammenbruch des japanischen Aktienmarktes im Jahr 1989, der auch als das „verlorene Jahrzehnt“ bezeichnet wird. Der Nikkei-225-Index erlebte einen lang anhaltenden Abschwung, der bis 2003 andauerte und zu einem Wertverlust von über 80% führte.
  • Die dritte Superblase war die Technologieblase, die gemeinhin als Dot-Com-Blase bezeichnet wird und bei der die unhaltbaren Bewertungen der Internetunternehmen zu einem erheblichen Börsenabsturz führten, bei dem der Nasdaq um 84% fiel.
  • Die vierte Blase ist die, die wir heute haben und die gemeinhin als „Alles-Blase“ bezeichnet wird.

Die aktuellen Marktbewertungen, selbst unter Berücksichtigung des Ausverkaufs im Jahr 2022, lassen darauf schließen, dass es sich im Vergleich zu den früheren Superblasen um die größte Blase aller Zeiten handelt. Die Bewertungen haben erst jetzt wieder das Spitzenniveau des Jahres 2000 erreicht, wobei das Kurs-Umsatz-Verhältnis des S&P bei 2,36x liegt und damit leicht über dem Spitzenwert des Jahres 2000 von 2,2x. Das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis und das Kurs-Buchwert-Verhältnis des S&P 500 und des Nasdaq liegen immer noch über ihren Höchstständen von 2007. Angesichts der historischen Daten sind die aktuellen Bewertungen immer noch hoch und könnten kurz- bis mittelfristig sinken.

Abbildung 2: Bewertungen S&P 500 & Nasdaq – Aktuell vs. Spitzenwert 2007
Quelle: Bloomberg
Welche Maßnahmen hat die Fed ergriffen?

Die Inflation ist für die Zentralbanken zur großen Herausforderung und zum bestimmenden Thema geworden. Die Federal Reserve hat deutlich gemacht, dass die Inflationsbekämpfung für sie oberste Priorität hat, und hat in den letzten zwei Jahren die aggressivsten Zinserhöhungen in der Geschichte vorgenommen. Es bleibt jedoch die Frage, ob sie in der Lage sein wird, die Nachfrage ausreichend zu dämpfen, um die Inflation zu bändigen, oder ob Probleme wie der Zusammenbruch der SVB-Bank sie dazu zwingen werden, die Zinsraten zu senken, bevor sie ihr Ziel erreichen können.

Das Scheitern der SVB hat die Fed dazu veranlasst, den Kurs zu ändern und dem System Liquidität zuzuführen, um mögliche Folgen zu vermeiden. Dies hat zu einem Anstieg der Geldvorräte und einer Ausweitung der Basisgeldmenge geführt, was den Kampf der Fed gegen die Inflation und ihre Straffungspolitik unterminiert. Darüber hinaus gibt es aufgrund der Bankenkrise nun eine erhebliche Diskrepanz zwischen der geplanten Zinspolitik der Fed und deren Wahrnehmung des Marktes. Obwohl Jerome Powell die Möglichkeit einer Zinspause für den Rest des Jahres angedeutet hat, rechnet der Markt mit einem Höchstzinssatz von 5,12% im Juni, gefolgt von einer anschließenden Senkung.

Abbildung 3: Implizierter Tagesgeldsatz mit Anzahl der Erhöhungen/Senkungen und implizierte Fed Funds Target Rate
Quelle: Bloomberg

Erschwerend kommt hinzu, dass die starke Nachfrage nach Arbeitskräften zu höheren Arbeitskosten für die Unternehmen geführt hat, die ihrerseits die Preise für ihre Produkte und Dienstleistungen anheben mussten, um ihre Rentabilität zu erhalten. Dies hat in den meisten westlichen Volkswirtschaften einen sich selbst verstärkenden Zyklus ausgelöst, der als Lohn-Preis-Spirale bekannt ist und den die Zentralbanken vermeiden wollen, da er den Inflationsdruck erhöht.

Zudem sind die meisten westlichen Volkswirtschaften mit einer alternden Bevölkerung konfrontiert, d. h. eine größere Anzahl älterer Menschen benötigt Ressourcen für ihren Lebensunterhalt, während weniger junge Menschen zur Verfügung stehen, um mehrere Arbeitsplätze zu besetzen.

In diesem Zusammenhang werden einige Zentralbanken wie Australien und Kanada offenbar immer zurückhaltender und der Druck in Richtung einer Lockerung wächst.

Könnten wir eine zweite Inflationswelle wie in den 70er Jahren erleben?

Die zweite Inflationswelle in den 1970er Jahren war schwerwiegender und langwieriger als die erste. Die erste Inflationswelle in den 1960er Jahren wurde durch eine unvorsichtige Finanzpolitik verursacht, z. B. durch höhere Staatsausgaben für den Vietnamkrieg und Sozialprogramme, was zu einer erhöhten Nachfrage und steigenden Preisen führte. Im Vergleich zur zweiten Welle war diese Inflation jedoch relativ mild. Die zweite Inflationswelle war die tödliche Inflation, die durch eine Kombination von Faktoren verursacht wurde, darunter steigende Ölpreise, höhere Staatsausgaben für Sozialprogramme und eine expansive Geldpolitik. Insgesamt stellte die zweite Inflationswelle in den 1970er Jahren eine größere und komplexere wirtschaftliche Herausforderung dar als die erste Welle, und ihre Auswirkungen waren noch viele Jahre nach ihrem Ende zu spüren.

Die Hartnäckigkeit der Inflation spiegelt sich in den Wirtschaftsdaten wider, die nach wie vor unglaublich robust sind: Die Arbeitslosenquoten liegen in vielen Volkswirtschaften nach wie vor unter dem Niveau vor der Pandemie; die PMI-Umfragen für Unternehmen haben eine Verbesserung der Wirtschaftsaussichten in den wichtigsten Industrieländern gezeigt; die Gesamtumfrage ist in den USA und im Vereinigten Königreich auf über 50 gestiegen und damit in den expansiven Bereich vorgedrungen, während die Eurozone ebenfalls im positiven Bereich geblieben ist. In Europa bleibt die Inflation auf breiter Basis und verfestigt sich zunehmend. Die Dienstleistungsinflation in der EU lag im Januar bei fast 1% und damit deutlich über dem historischen Bereich. In China sorgt die Wiederbelebung der Wirtschaft nach der Pandemie für einen starken Aufschwung der Wirtschaftstätigkeit. Die Geldmenge wächst stärker als im Westen, was zu einem Anstieg der inländischen Ausgaben und des Kapitals für Investitionen führen kann. Die Veränderung bei den neu vergebenen Krediten in Prozent des BIP ist steigend. Sollte jedoch die Nachfrage aus China zunehmen, könnte die Inflation ausgelöst werden.

Abbildung 4: Die Kerninflation liegt immer noch bei rund 5% (letztes Quartal)
Panel 1: US All: US CPI Urban Consumers YOY und US CPI Urban Consumer Core YOY; Panel 2: EU All: Euro Area MUICP All Items YOY und EU Core: Eurostat Eurozone Core MUICPY; Quelle: Bloomberg

Außerdem können wir, wie in den 70er Jahren, beobachten, dass:

  1. Ein Wechsel von QT zu QE, ausgelöst durch den Bankrott der SVB, die Straffungspolitik der Fed untergräbt, wie zuvor beschrieben.
  2. Erneuter Aufwärtsdruck auf die Energiepreise herrscht – die OPEC und ihre Verbündeten, darunter Russland, haben sich am 02.04.2023 darauf geeinigt, die Kürzungen der Rohölproduktion auf 3,66 Millionen Barrel pro Tag (bpd) oder 3,7% der weltweiten Nachfrage auszuweiten. Die überraschende Ankündigung ist inflationär. Seit der Ankündigung sind die Preise für die Rohölsorten WTI und Brent um 7% bzw. 6% gestiegen.
  3. Globale wirtschaftliche Instabilität/geopolitische Spannungen enorme Auswirkungen auf die Finanz- und Geldpolitik haben könnten.
Abbildung 5: Performance Commodities
Quelle: Bloomberg

Der Russland-Ukraine-Krieg wird von den Märkten als weit entfernt und für die Entwicklung der globalen Märkte als nahezu irrelevant angesehen. Der Krieg ist jedoch ein bedeutender Faktor, der das bereits fragile globale Finanzsystem stören könnte. Der Konflikt in der Ukraine hat sich bereits stark auf die weltweiten Rohstoffpreise ausgewirkt, zu einer höheren Inflation geführt und Europa veranlasst, seine Energiestrategie zu überdenken. Sollten die Spannungen weiter eskalieren, könnte dies auf absehbare Zeit weitere Auswirkungen auf Inflation, Industriestruktur und Lebensstandard haben.

Unterdessen beobachten die Anleger die Beziehungen zwischen China und den USA genau, da sie befürchten, dass die Spannungen in der Taiwan-Frage eskalieren könnten. China hat nicht die Absicht, in Taiwan einzumarschieren, und ist der Ansicht, dass Taiwan im Laufe der Zeit wieder eingegliedert werden sollte. China geht davon aus, dass die pro-chinesische KMT-Partei die anstehenden Wahlen in Taiwan im Jahr 2024 gewinnen wird, was auch im Einklang mit Xi Jinpings langjähriger Aussage stünde, dass 2028 das Jahr sein wird, in dem die beiden Seiten „zusammenkommen“. Die Vereinigten Staaten sind sich dieses Szenarios bewusst, und es bleibt abzuwarten, ob sie dies zulassen oder China dazu provozieren werden, vor 2024 tätig zu werden.

Schließlich hat die Möglichkeit weiterer Instabilität in Israel und im Nahen Osten insgesamt seit Netanjahus Amtsantritt zugenommen. Dies könnte sich auf die Rohölpreise und -märkte auswirken.

Zusammenfassung

Die Aktienmärkte haben sich von September 2022 bis ins erste Quartal 2023 hinein erholt. In jüngster Zeit wurde die Rallye durch eine Liquiditätsspritze der Fed nach mehreren Bankenzusammenbrüchen angetrieben. Es gibt jedoch Bedenken hinsichtlich der hohen Bewertungen und eines möglichen Rückschlags.

Die Bemühungen der Fed, die Inflation einzudämmen, werden einerseits durch die Schwäche der regionalen Banken und andererseits durch Faktoren erschwert, die den Inflationsdruck verstärken, wie z. B. eine insgesamt robuste US-Wirtschaft, Arbeitskräftemangel, hartnäckige Inflation und die daraus resultierende Lohn-Preis-Spirale.

Wir sind in Bezug auf die Aussichten vorsichtig und glauben, dass die Marktvolatilität mit Abwärtsrisiken zu Beginn des zweiten Quartals anhalten könnte. Schließlich sollten auch die geopolitischen Spannungen nicht außer Acht gelassen werden, da sie ein weiterer wichtiger Faktor sind, der sich negativ auf das bereits fragile Finanzsystem auswirken könnte.

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