Marktkommentar Anleihen: Zins-Hoch und Spread-Tal
Nachdem das erste Quartal 2024 ein dramatisches Auspreisen aggressiver Zinssenkungen durch die Zentralbanken gesehen hat, wurde im zweiten Quartal mit der ersten Zinssenkung der EZB und einer Bodenbildung bei Spreads klar, dass das Ende des Zinszyklus erreicht ist. Vor uns liegt mehr Volatilität.
Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy
Rückblick auf das zweite Quartal
Im zweiten Quartal 2024 zogen die Inflationsraten in den USA und Deutschland leicht an, wobei offen ist, ob es sich hier um einen kurzfristigen Effekt im längerfristigen Abwärtstrend handelt, oder ob es wieder steigenden Inflationsdruck in den Volkswirtschaften gibt.
Abbildung 1: Inflationsraten in den USA und Deutschland
Wie in Abbildung 1 zu erkennen ist, sind sowohl die deutsche als auch die US-Inflationsrate nicht mehr rückläufig. Dies suggieriert, dass das Inflationsziel der Zentralbanken nicht einfach zu erreichen ist. Die deutsche Inflationsrate lag zuletzt bei 2,4% nach einem zwischenzeitlichen Tief bei 2,2% in Februar und März. Die US-Inflation liegt noch deutlich höher bei 3,3%, wobei der Wert im Januar bereits bei 3,1% gelegen hat. Lediglich die Kerninflation in den USA, die um volatile Nahrungs- und Energiepreise bereinigt ist, hat ihren Abwärtstrend fortgesetzt und liegt bei 3,4% nach 3,9% im Januar.
Die vorläufige Stabilisierung der Inflationsrate hat zur ersten Zinssenkung der EZB geführt, die den Leitzins um 0,25% auf jetzt 4,25% gesenkt hat. Zwei weitere Schritte für den Rest des Jahres wurden von der EZB als „nicht unrealistisch“ eingestuft. Die Fed hingegen hält sich mit Zinssenkungen noch zurück und bleibt auch bei ihrer Rhetorik vorsichtig. Zuletzt haben die veröffentlichten Leitzinsprognosen der Fed-Mitglieder („Dot Plots“) dafür gesorgt, dass Marktteilnehmer ihre Zinserwartungen weiter erhöht haben.
Abbildung 2: Fed-Leitzinserwartungen („Dot Plots“) für die kommenden Jahre über die Zeit
Nach der neuesten Fed-Prognose aus dem Juni 2024 liegt die Medianprognose nur noch bei einer Zinssenkung für 2024 nachdem im März drei Senkungen prognostiziert wurden. Auch die Prognose für 2025 liegt jetzt einen Zinsschritt höher als vor drei Monaten und zwei Schritte höher als vor sechs Monaten. Während die EZB der Fed bei Zinserhöhungen folgte, läuft sie jetzt der US-Notenbank voraus.
Entsprechend volatil blieben die Zinsmärkte. So stieg die Bund-Rendite von einem Quartalsstart-Niveau von 2,3% auf bis 2,7% Ende Mai an, fiel aber im Zusammenhang mit der EZB-Zinssenkung und der politischen Unsicherheit um die Ergebnisse der Europawahl und den Neuwahlen in Frankreich wieder auf 2,5% zurück. In den USA fielen die zehnjährigen Zinsen von ihrem Quartalshoch bei 4,7% auf 4,4%.
Abbildung 3: Die Zinsvolatilität setzte sich im zweiten Quartal 2024 fort
Panel A: US-Zinsen
Panel B: Deutsche Zinsen
Credit-Spreads haben nach einer seit Mitte Oktober 2023 anhaltenden Rallye ihren Tiefpunkt erreicht und sind von dort aus wieder etwas gestiegen. Dies trifft auf alle wichtigen Währungsräume und Ratingklassen zu.
Abbildung 4: Credit-Spreads
Wie die Abbildung zeigt, haben Credit-Spreads im Laufe des zweiten Quartals ihren Tiefpunkt erreicht und von dort eine Gegenbewegung begonnen. Euro IG-Spreads lagen Ende Q2 bei 1,21% nach einem Tief von 1,08%, während USD IG-Spreads vom Tiefpunkt bei 0,85% auf 0,94% geklettert sind. Ähnlich ist auch das Bild bei globalen High Yield-Spreads, wo sich die Spreads vom Tief bei 3,66% um 20 Basispunkte auf 3,86% ausgeweitet haben. Auslöser des Anstiegs, vor allem in Europa, waren politische Sorgen um Frankreich nach der Europawahl. Der Blick nach vorne offenbart allerdings weitere Sorgen.
Ausblick aufs 3. Quartal
Ein Blick auf die Stimmungslage in der Wirtschaft zeigt nach wie vor Unterschiede zwischen den beiden Seiten des Atlantiks. Während das verarbeitende Gewerbe in den USA auf leichtem Expansionskurs ist, sind die Zahlen in Europa nach wie vor ernüchternd.
Abbildung 5: Einkaufsmanagerindizes (PMIs) im verarbeitenden Gewerbe
Während der US-Index über der Expansionsschwelle von 50 Punkten liegt, ist das deutsche Pendant nicht nur deutlich darunter, sondern hat im Juni auch wieder stark nach unten gedreht. Europa bleibt im Strudel aus Wachstumsschwäche, hohen Energiekosten und den schädlichen Konsequenzen ihrer eigenen Sanktionen gefangen.
Aber auch in den USA zeigen sich ein paar grauen Wolken am Konjunkturhimmel. So ist das Verbrauchervertrauen der Universität Michigan zuletzt wieder deutlich zurückgegangen.
Abbildung 6: US-Verbrauchervertrauen
Der Arbeitsmarkt, das Hauptargument der Konjunkturoptimisten, ist zwar weiterhin robust. Jüngste Revisionen und Analysen haben jedoch gezeigt, dass unter der Oberfläche mehr Probleme auftreten als auf den ersten Blick ersichtlich sind. So ist beispielsweise die Arbeitslosenquote in den USA und Europa graduell nach oben gelaufen und liegt deutlich über den Tiefstständen aus 2022 und 2023.
Abbildung 7: Arbeitslosenquoten
Diese Konjunktursignale sind problematisch angesichts der massiv gestiegenen Verschuldung der US-Konsumenten. Eine Abschwächung der US-Wirtschaft dürfte den Anteil notleidender Kredite deutlich nach oben treiben. Dies trifft einen Bankensektor, der nach wie vor unter stillen Lasten angesichts stark gestiegener Zinsen leidet. Viele Beobachter vermuten, dass es jederzeit zu einem Wiederaufflammen der Regionalbankenkrise in den USA kommen kann.
Ein weiteres Risiko sind die US-Wahlen im November. Es steht zu befürchten, dass das hochgradig polarisierte Land sich mit keinem Ergebnis wird anfreunden können. In der Außenpolitik droht unabhängig vom Wahlausgang eine weitere Verschärfung von Sanktionen, Protektionismus und Säbelrasseln. Für die Konjunktur ist das ein klares Risiko.
Geopolitische Risiken, vor allem in Europa, schwache Konjunktur, langsam aber kontinuierlich ansteigende Arbeitslosenquoten und die bevorstehenden US-Wahlen: In dieser Mischung erscheint es unwahrscheinlich, dass Credit-Spreads in den nächsten Monaten ihr Spread-Tief wieder erreichen oder gar unterbieten. Schwächere Konjunkturaussichten sollten Druck nach oben auf die Spreads ausüben, die politische Risikoprämie bleibt hoch.
Gleichzeitig dürfte jeder unerwartete Rückgang der Inflation angesichts dieses Umfelds zu deutlichen Zinsrückgängen führen. In diesem Fall ist mit positiven Returns von Fixed-Income-Strategien zu rechnen. Diese dürften umso höher ausfallen, je höher die Duration der jeweiligen Anlagen ist.
Ausblick
Angesichts der Risiken haben sich Zins- und Spread-Märkte im Jahre 2024 bisher sehr gut gehalten. Vom aktuellen Niveau ausgehend scheint weiteres Aufwärtspotenzial von Risiko-Assets nach einer langen Rallye aber erst einmal begrenzt. Während zunehmende Volatilität in einem solchen Umfeld wahrscheinlich ist, sollten Investoren bei ihrer Positionierung vorsichtig bleiben. Es erscheint fraglich, ob eine Strategie, die ausschließlich auf höhere Risiken setzt, über die nächsten Monate die optimale Positionierung darstellt. Aktives Management mit starker Selektionskompetenz dürfte zunehmend an Bedeutung gewinnen. Investoren sollten diese Aspekte nach vorne schauend stärker gewichten.