Marktkommentar Anleihen: Quo vadis, Credit-Spreads?
Hartnäckig hohe Inflation hat im ersten Quartal 2024 zu steigenden Zinsen und rückläufigen Leitzinssenkungserwartungen geführt. Credit-Spreads setzten dennoch ihre Rallye fort. Systematische Credit-Faktoren weisen auf eine vorsichtigere Positionierung hin.
Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy
Rückspiegel: Kerninflation über Zielniveau
Die Inflationsraten, das weiterhin dominierende Thema auf beiden Seiten des Atlantiks, sind im ersten Quartal weiter rückläufig gewesen. Die deutsche Inflationsrate sank im Laufe des ersten Quartals von 3,7 % auf 2,5 %, während die US-Inflationsrate von 3,4 % auf 3,2 % fiel. Allerdings ist dieser Rückgang vor allem auf die volatilen Lebensmittel- und Energiepreise zurückzuführen, während der Rest, die sogenannte Kerninflationsrate, noch deutlich über dem Zielniveau der Zentralbanken bleibt.
Abbildung 1: Kerninflationsraten in Deutschland und den USA
Die Kerninflationsraten liegen weiterhin zwischen 3 % und 4 %, insbesondere in Deutschland eher am oberen Rand dieses Korridors. Auch hat sich die Geschwindigkeit reduziert, mit der die Raten sinken. In den USA sind sie sogar komplett zum Stillstand gekommen. Es besteht daher die Sorge, dass sich die Inflationsrate auf einem Niveau verfestigt, das oberhalb des Zielkorridors der Zentralbanken liegt.
Abwärtstrends bei den Zinssätzen kehren sich um – Rallye in Credit-Spreads
Die Sorgen über die anhaltend erhöhte Inflation haben zu einer Neubewertung des Zinspfads der Zentralbanken und damit der Zinskurven geführt.
Abbildung 2: Zinssätze in Deutschland und in den USA
Was in Q4/2023 wie ein beginnender Trend fallender Zinsen ausgesehen hat, hat sich in Q1/2024 umgekehrt. Über das Quartal hinweg stiegen die zehnjährigen Renditen in Deutschland und den USA um ca. 35 Basispunkte, auch wenn sie von den Höchstständen im Oktober noch ein Stück entfernt sind.
Credit-Spreads setzten hingegen ihre Rallye fort, die im November und Dezember bereits zu kräftigen Kursgewinnen geführt hatte. Global IG-Credit-Spreads beendeten das Quartal 14 Basispunkte tiefer bei 1,01 %, während Euro IG-Credit-Spreads sogar um 23 Basispunkte auf 1,15 % fielen. Positive Erwartungen hinsichtlich des weiteren Konjunkturverlaufs und der Fähigkeit der Zentralbanken, einen spürbaren Wirtschaftsabschwung zu verhindern, trugen zur positiven Stimmung bei.
Abbildung 3: Spreads und laufende Renditen der Euro- und globalen Credit-Indizes
Die Abbildung zeigt neben den Credit-Spreads auch die aktuellen Renditen der großen IG-Credit-Indizes. Diese liegen bei knapp 3,75 % für Euro IG und knapp 5 % (vor Hedge-Kosten) für Global IG. Das hohe Renditeniveau, das den Renditeanforderungen vieler institutioneller Investoren gerecht wird, ist ein Grund für die weiterhin robuste Nachfrage nach Unternehmensanleihen und hat die Spread-Einengungen am Markt unterstützt.
Blick in die Zukunft: Erhöhtes Risiko einer höheren Inflation
Inzwischen sind die Marktteilnehmer nicht mehr so zuversichtlich wie zuvor, dass die Inflationsraten bald auf das Zielniveau der Zentralbanken zurückgehen werden. Folgende Aspekte erhöhen das Risiko einer längerfristig erhöhten Inflationsrate:
- Die Inflationsraten sind nicht mehr auf Energie- und Lebensmittelpreise zurückzuführen. Vielmehr steigen die Preise für Dienstleistungen an und die Inflation droht sich zu verfestigen.
- Mit der Fragmentierung der Welt in verschiedene Blöcke steigen Logistikkosten. Handelsrouten zu See und Land werden riskanter, und Sanktionen erhöhen die Kosten insbesondere auch für diejenigen, die diese verhängen.
- Ein globaler Trend zur Aufrüstung hat negative Auswirkungen auf die Inflationsraten.
- In den USA stehen im November Wahlen an. In dem hochgradig polarisierten Land hat die Regierung einen großen Anreiz, ihre Ausgaben vor den Wahlen zu maximieren.
- Nach der US-Wahl ist nicht mit einer Konsolidierung zu rechnen: Präsident Biden verwaltet das höchste Haushaltsdefizit (in % des BIP) in Friedenszeiten der US-Geschichte. Sein Vorgänger, Ex-Präsident Trump, hatte das zweithöchste zu verantworten Von restriktiver Budgetpolitik ist im Wahlkampf auf keiner der beiden Seiten die Rede.
- Unter einer neuen Amtszeit Bidens ist mit weiteren Defiziten aufgrund steigender Sozial- und Rüstungsausgaben zu rechnen, wobei auch weitere Sanktionen mit negativen Auswirkungen wahrscheinlich sind. Unter einer zweiten Amtszeit Trumps ist von einer Erhöhung von Handelsbarrieren (Zölle), Sanktionen insbesondere gegen China und neuen Defiziten aufgrund von Steuersenkungen auszugehen.
- In Europa und Japan droht weiterer Inflationsdruck von der Lohnseite. Jüngste Lohnerhöhungen lagen auf hohen Niveaus, und Arbeiter sind zunehmend bereit, ihre Forderungen mit Streiks durchzusetzen, wie die Streikwelle in Deutschland verdeutlicht.
Märkte preisen Zinssenkungen ein, Zentralbanken bleiben zurückhaltend
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Märkte begonnen haben, Zinssenkungen einzupreisen bzw. diese in der Zukunft zu erwarten. Auch Zentralbanken sind zunehmend vorsichtig, wenn es um das Tempo und den Umfang der Zinssenkungen geht.
Abbildung 4 zeigt die Einschätzung der Fed-Mitglieder bezüglich des weiteren Zinspfades. Dargestellt ist hier die Median-Schätzung für die US-Leitzinsen am Ende des jeweiligen Kalenderjahres. Die Grafik zeigt die aktuelle Einschätzung und die Einschätzung vor drei Monaten.
Abbildung 4: Median-Einschätzung der US-Leitzinsen durch Fed-Mitglieder („Dot Plots“)
Wie aus der Abbildung ersichtlich wird, haben die Fed-Mitglieder ihre Erwartungen für 2024 zwar nicht angepasst, die Leitzinserwartungen aber für die Folgejahre jeweils um einen Schritt nach oben genommen. Nach den neuesten „Dot Plots“ liegt der Leitzins (Obergrenze des Zinskorridors) Ende 2025 bei 4 % (vorher 3,75 %) und Ende 2026 bei 3,25 % (vorher 3 %). Und während die Zinsmärkte volatil bleiben, ist ein schleichender Trend zu einer längeren Phase erhöhter Zinsen zu konstatieren.
Credit-Spreads preisen weiche Landung ein, während US-Arbeitsmärkte herunterrevidiert werden
Credit-Spreads, insbesondere in US-Dollar, preisen eine weiche Landung ein, die einen Rückgang der Inflationsraten ohne damit einhergehende Rezession annimmt. Das Risiko von Spread-Rückschlägen wächst mit jedem Basispunkt, den der Index weiter fällt, da das Szenario einer weichen Landung unsicher ist. Auch das Ausbleiben eines spürbaren Inflationsrückgangs („No-Landing-Szenario“) dürfte negative Auswirkungen auf die Credit-Spreads haben.
In diesem Zusammenhang wird der starke US-Arbeitsmarkt immer wieder als ein unterstützender Faktor für Konjunktur und Spreads genannt. Aber unter der freundlichen Oberfläche der monatlichen Berichte zeigen sich auch Probleme. Zunächst wurden die veröffentlichten Zahlen zu den neugeschaffenen Stellen außerhalb der Landwirtschaft (die sogenannten „Non-farm payrolls“) für die letzten Monate seit Januar 2023 schrittweise um fast 500.000 Stellen nach unten korrigiert, wie die nachfolgende Grafik zeigt.
Abbildung 5: Kumulierte Revisionen der neugeschaffenen Stellen in den USA
Mitte März schätzte dann die Philadelphia Fed in ihrem Early Benchmark-Report, dass die offiziellen Statistiken die Zahl der neugeschaffenen Stellen für die ersten neun Monate 2023 sogar um rund 800.000 überschätzt haben.1
Die Frage mit Blick nach vorne ist also, wie es mit der Konjunktur weitergeht und ob die Credit-Spreads ihre Rallye fortsetzen oder ob in nächster Zeit mit einer Gegenbewegung mit steigenden Spreads zu rechnen ist. Wie sollten sich Marktteilnehmer also positionieren?
Wir beleuchten diese Frage aus einer Faktorperspektive, indem wir untersuchen, welche Bonds momentan aus Faktorsicht interessant sind: Bonds mit höheren Spreads und Beta, die im Falle einer Fortsetzung der Rallye profitieren sollten? Oder defensivere Bonds mit niedrigeren Spreads, die bei einer Spread-Ausweitung outperformen sollten?
Was zeigt die Faktorperspektive?
Wir betrachten diese Frage der Positionierung aus Faktorsicht, indem wir analysieren, welche Anleihen aus dieser Perspektive derzeit interessant sind:
- Anleihen mit höheren Spreads und höherem Beta, die bei einer Fortsetzung der Rallye profitieren sollten?
- Oder defensivere Anleihen mit niedrigeren Spreads, die bei einer Spread-Ausweitung outperformen sollten?
Die folgende Grafik zeigt das relative Spread-Niveau als Z-Score zur eigenen Historie für die vier systematischen Credit-Faktoren Carry, Momentum, Value und Quality.
Abbildung 6: Relativer Spread (Z-Score) systematischer Credit-Faktoren
Wie wir die relativen Spreads nach Faktoren berechnen:
- Für jeden Faktor wird monatlich ein gleichgewichtetes Bondportfolio erstellt, das aus den 20 % der Bonds am Markt mit dem höchsten Exposure zu dem jeweiligen Faktor besteht.
- Für dieses Portfolio wird der durchschnittliche Spread berechnet und ins Verhältnis zum Markt-Spread gesetzt. Über diese Kennzahl wird ein Z-Score berechnet, sodass ersichtlich ist, welches relative Spread-Niveau die Top-Value-, Top-Carry-, Top-Momentum- und Top-Quality-Bonds gerade haben.
- Ein Wert von 0 bedeutet, dass die relativen Spreads des Faktors auf historisch durchschnittlichem Niveau liegen, während positive (negative) Werte bedeuten, dass aktuell Bonds mit überdurchschnittlich (unterdurchschnittlich) hohen Spreads besonders aus Sicht des jeweiligen Faktors attraktiv sind.
Schlussfolgerungen:
- Mit Ausnahme des Momentum-Faktors sind die relativen Spreads der attraktiven Bonds am Markt momentan niedrig. Für den Carry-Faktor reflektiert dies eine geringere Dispersion in den Credit-Spreads.
- Im Gegensatz dazu zeigen die Value- und Quality-Faktoren, dass die attraktivsten Bonds aus Sicht dieser Faktoren momentan nicht unter den Hochspread-Titeln zu finden sind. Vielmehr scheinen defensivere Emittenten mit mittleren oder niedrigeren Spreads attraktiver zu sein.
- Für den Momentum-Faktor liegt der relative Spread zwar nur leicht unter seinem historischen Mittel, da dieser Faktor aber tendenziell defensiver als der Markt ist, weist Momentum ebenfalls nicht auf die Attraktivität riskanterer Bonds hin.
Zwar ist die weitere Marktentwicklung unsicher, und Faktorwerte können sich täglich ändern, allerdings zeigt der Faktorblick, dass die attraktivsten Titel am Markt momentan im Schnitt niedrigere Spreads haben und damit weniger riskant sind als der Marktdurchschnitt.
Fazit
Während die Zinsmärkte mit Blick auf die hartnäckig hohe Inflation langsam die bisher eingepreisten aggressiven Zinssenkungen auspreisen, sind die Credit-Märkte weiter im Rallyemodus. Während eine weiche Landung am Markt eingepreist ist, gibt es auch eine Reihe von Risikofaktoren, die das bestmögliche Szenario am Markt ins Wanken bringen können. Ein Blick auf systematische Credit-Faktoren zeigt, dass momentan viele Faktoren im Schnitt eher defensivere Bonds attraktiv finden. Die nächsten Monate werden zeigen, ob Rates- oder Credit-Investoren die Situation besser eingeschätzt haben.