Ausblick April 22: Wie geht es mit den US-Zinsen weiter?

In der Gemengelage aus sich beschleunigender Inflation, einbrechendem Wachstum, aggressiven Zinserhöhungen der Fed und geopolitischen Verwerfungen mit weitreichenden Auswirkungen auf das globale Finanzsystem stellt sich die Frage, wie es mit den US-Zinsen weitergeht.

Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Portfolio Management

Rohstoffpreise treiben Inflationserwartungen nach oben

Der Konflikt in der Ukraine und die politische Reaktion darauf mit Sanktionen und Gegensanktionen stellen einen wichtigen Wendepunkt für die weitere Entwicklung der weltweiten Inflationsraten dar. Waren davor die Märkte noch von einer kurzen inflationären Periode ausgegangen, haben der massive Anstieg der Rohstoffpreise und die künstliche Verknappung des Angebots verschiedener Rohstoffe diese Hoffnung zunichte gemacht. Die folgende Grafik zeigt die indexierte Preisentwicklung ausgewählter Rohstoffe, bei denen Russland ein wichtiger Produzent auf dem Weltmarkt ist.

Abbildung 1: Rohstoffpreisentwicklung ausgewählter Rohstoffe
Dünger: Green Markets Fertilizer Composite; Weizen: Chicago SRW Wheat Futures; Nickel: LME Nickel 3 Month rolling forward; Uran: Sprott Physical Uranium Trust; Öl: Brent Crude Futures; Erdgas: UK NatGas Futures; Quelle: Bloomberg L.P

Die Preise für Uran und Nickel, Rohöl und Erdgas, aber auch Agrarprodukte wie Weizen und Dünger sind seit Jahresbeginn zwischen 25% und 70% gestiegen. Dieser inflationäre Impuls hat sich bereits im März in Inflationsraten niedergeschlagen, die weit über den Markterwartungen lagen.

Da die Preise insbesondere auch durch politische Maßnahmen, Sanktionen und Gegensanktionen sowie Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen in die Höhe getrieben wurden, haben sich die Erwartungen des Marktes auf eine nur vorübergehend höhere Inflation in Luft aufgelöst. Abbildung zwei zeigt die erwartete Inflationsrate in den USA gemessen an den Breakeven-Inflationsraten inflationsgeschützter Staatsanleihen (TIPS).

Abbildung 2: Breakeven-Inflationsraten in den USA
Quelle: Bloomberg L.P.

Die Abbildung zeigt, wie die Inflationserwartungen seit Mitte Februar im Einklang mit der Verschlechterung der geopolitischen Lage rasch gestiegen sind. So stieg die erwartete durchschnittliche Inflationsrate über die nächsten zwei Jahre von gut 3% auf bis zu 5%, während sich die Fünf- und Zehnjahresinflationserwartungen auf jeweils bis zu 3,7% und 3% erhöht haben. Auch die längerfristigen Inflationserwartungen, gemessen an der Fünfjahres-Forwardinflation (der Fünfjahres-Inflation in fünf Jahren), sind von 2% auf 2,5% gestiegen.

Der Zinsanhebungszyklus hat begonnen

Daher hat die US-Zentralbank im März mit dem ersten Zinsschritt nach oben um 25 Basispunkte auf ein neues Leitzinsniveau von 0,5% unternommen. Weitere aggressive Zinserhöhungen sind von Fed-Funktionären angekündigt und vom Markt eingepreist worden, wie aus Abbildung 3 zu erkennen ist.

Abbildung 3: Implizite Geldmarktsätze aus Eurodollar-Futures
Quelle: Bloomberg L.P.

Im Einklang mit der Kommunikation der Fed hat der Markt inzwischen mehr als neun Zinsschritte für 2022 eingepreist und zwei weitere in der ersten Hälfte des Jahres 2023. Dies umfasst zwei volle Zinsschritte, also jeweils eine Erhöhung um einen halben Prozentpunkt, im Mai- und Juni-Meeting der Fed. Die Strategie der Fed ist es, durch die Verteuerung von Krediten die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zu reduzieren. Dies ist ein wirkungsvolles Instrument, wenn die Inflation nachfragegetrieben ist. Die Frage ist jedoch, inwieweit dieses Vorgehen bei einer angebotsgetriebenen Inflation wie der aktuellen effektiv ist. In diesem Fall ist die Inflation durch Probleme bei globalen Lieferketten und der künstlichen Verknappung des Rohstoffangebots getrieben, beides Effekte, die außerhalb des Einflusses der Zentralbank liegen. Unter diesen Umständen ist eine solche Zinserhöhungsstrategie nur dann erfolgreich, wenn die Nachfrage nach den betroffenen Gütern und Dienstleistungen relativ elastisch auf ein Verteuerung der Kreditkonditionen reagiert. Ist die Nachfrage hingegen unelastisch, z.B. für Grundlebensmittel oder die Kosten der eigenen Wohnung, werden Zinserhöhungen wenig Effekt auf die Nachfrage nach diesen Gütern haben.

In der folgenden Tabelle sind die Komponenten des US-Warenkorbs mit Gewichten abgebildet und eine Einteilung nach elastischen und unelastischen Nachfragekurven.

Abbildung 4: Komponenten des US-Warenkorbs
Quelle: Bureau of Labor Statistics, Quoniam Asset Management GmbH

Die Übersicht zeigt das Dilemma, in dem sich die Fed befindet. Rund 75% der Güter und Dienstleistungen können als relativ unelastisch und damit schwerer steuerbar klassifiziert werden. Zwar haben einige der Komponenten auf der linken Seite auch elastische Elemente. So treten mit Sicherheit Substitutionseffekte auf, wenn teurere und hochwertigere Waren durch günstigere ersetzt werden. Andererseits sind auch Elemente auf der rechten Seite wie Alkohol und Tabak für einen Teil der Konsumenten preisunelastisch.

Ist die Fed gezwungen, aggressiver vorzugehen und garantiert damit eine Rezession in den nächsten Quartalen? Einige Marktteilnehmer äußern inzwischen genau diese Meinung, dass es das Ziel der Fed ist, die Inflation über eine Rezession in den Griff zu bekommen.

Einige Frühindikatoren in den USA zeigen inzwischen deutlich nach unten. Die Einkaufsmanager-Indizes sind auf dem niedrigsten Stand seit Sommer 2020, während das Verbrauchervertrauen der Universität Michigan das letzte Mal im Sommer 2011 so niedrig war wie aktuell. Das Nowcasting-Modell der Atlanta Fed für das US-BIP im ersten Quartal 2022 ist nur noch leicht positiv. Ein ähnliches Bild zeigen die Zinskurven in den USA wie die nächste Abbildung verdeutlicht.

Abbildung 5: Zinsentwicklung in den USA
Quelle: Bloomberg L.P.
Kommt eine Rezession?

Während die aggressive Rhetorik der Fed die Zinsen über das gesamte Laufzeitenspektrum nach oben getrieben hat, haben die Zinsen im kurzen Laufzeitenbereich überproportional reagiert. Dies hat dazu geführt, dass zehnjährige und dreißigjährige Zinsen mit 2,38% und 2,43% (Stand: 01.04.2022) unterhalb der fünfjährigen (2,56%), dreijährigen (2,63%) und sogar zweijährigen Zinsen (2,46%) liegen. Die US-Zinskurve ist somit in vielen Abschnitten invers, was historisch ein sehr zuverlässiger Indikator für eine nahende Rezession ist (siehe unseren Artikel „Steht die Fed kurz davor, einen Fehler zu begehen?“ aus dem Januar 2022).

Historisch hätte dies bedeutet, dass die Fed bald mit geldpolitischen Lockerungen anfängt, um die schwächelnde Konjunktur zu unterstützen. Dies würde zu über die gesamte Zinskurve hinweg fallenden Zinsen und einer Versteilerung der Kurve führen. Anleger wären in einem solchen Fall gut beraten, die Duration in ihrem Portfolio hochzuhalten, um von fallenden Zinsen zu profitieren.

Es ist allerdings zweifelhaft, ob historische Muster in der aktuellen Situation angewendet werden können. Noch nie hat sich die Kurve so früh im Zinserhöhungszyklus der Fed bereits invertiert. Und noch nie waren die Zinsen so niedrig, 0,5%, im Vergleich zur aktuellen Inflationsrate von 7,9%. Die Situation erinnert eher an die Stagflationsszenarien der 1970er Jahre, auch wenn auch hier der Vergleich wahrscheinlich irreführend ist, da die Inflation damals trotz zweier Ölpreisschocks nach jahrelanger expansiver Fiskalpolitik vor allem nachfragegetrieben und damit mit dem Instrumentarium der Zentralbank leichter einzufangen war.

„Noch nie hat sich die Kurve so früh im Zinserhöhungszyklus der Fed bereits invertiert. Und noch nie waren die Zinsen so niedrig.“

Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Portfolio Management

Hinzu kommt, dass wir aller Wahrscheinlichkeit nach an einem Wendepunkt des globalen Finanz- und Währungssystems stehen. Die Konfiszierung der russischen Währungsreserven hat klargemacht, dass das dollarbasierte globale Finanzsystem Risiken enthält, für die es keine Hedgemöglichkeit gibt. Andere Staaten, die in der Zukunft Leidtragende einer solchen Entscheidung sein könnten, werden sich darauf vorbereiten. Dies wird zu einem Rückgang der Nutzung des US-Dollar in globalen Handels- und Rohstofftransaktionen und damit perspektivisch zum Ende des Petrodollar-Systems führen. All dies wird die internationale Nachfrage nach US-Staatsanleihen reduzieren.

Können sich die USA höhere Zinsen leisten?

Prinzipiell suggerieren diese Argumente einen längerfristigen Anstieg des Zinsniveaus in den USA. Die Frage ist allerdings, ob die USA sich höhere Zinsen überhaupt leisten können. Angesichts der hohen Verschuldung der öffentlichen und privaten Haushalte würden höhere Zinsen einen steigenden Teil der verfügbaren Einkommen beanspruchen und für produktive Verwendung nicht zur Verfügung stehen. Nach Zahlen des US-Finanzministeriums ist allein in den letzten vier Jahren die öffentliche Verschuldung um 10 Billionen US-Dollar gestiegen. Die folgende Abbildung zeigt die Auswirkung auf die Zinszahlungen der USA und den geschätzten Effekt höherer Zinsen.

Abbildung 6: Zinsbelastung des US-Haushalts
Quelle: Congressional Budget Office (CBO), Bank of America Corp. (BofA)

Wie aus der Abbildung ersichtlich, hat sich die kumulierte Zinsbelastung über die nächsten zehn Jahre in der letzten Schätzung des CBO aus dem Juli 2021 im Vergleich zu fünf Monaten zuvor bereits um 2,5 Billionen USD, also 250 Milliarden pro Jahr, erhöht. Nach Schätzungen der Bank of America kämen bei einem Anstieg des durchschnittlichen Zinsniveaus um einen Prozentpunkt kumuliert etwa. weitere 3,5 Billionen USD, also 350 Milliarden pro Jahr, hinzu. Da dies nicht mit einem proportionalen Anstieg des Realwachstums einhergeht, dürfte sich zudem auch die Neuverschuldung erhöhen, was die Zinslast weiter anwachsen lässt. Es ist daher die Frage, ab welchem Niveau die US-Regierung höhere Zinsen nicht mehr verkraften kann.

Aus diesem Grund glaubt der Rentenmarkt nur an einen kurzen, wenngleich auch heftigen Zinserhöhungszyklus. In der folgenden Abbildung sind die Forward-Renditen für US-Staatsanleihen in drei, sechs und zwölf Monaten sowie in zwei und drei Jahren dargestellt.

Abbildung 7: Forward-Kurve für US-Treasuries
Quelle: Bloomberg L.P., Stand: 01.04.2022

Aus der Grafik sind einige interessante Erwartungen des Marktes abzulesen. Während man am aktuellen Rand erkenn kann, dass die Kurve leicht invertiert ist, da die Renditen zwei- und dreijährigen Staatsanleihen ein paar Basispunkte über den fünf- und zehnjährigen liegen, so erwartet der Markt eine deutliche Zunahme der Inversion. In einem Jahr werden die Dreimonats- und Jahresrenditen bei 3,16% und 3,1% gesehen, während die fünfjährige Rendite bei 2,71% und die zehnjährige bei 2,52% stehen. Damit wäre der Dreimonatssatz um 64 Basispunkte über der zehnjährigen Rendite, was auch historisch ein ziemlich extremes Szenario ist.

Was erwartet der Markt für die Treasurykurve?

Noch interessanter ist allerdings die Markterwartung bzgl. der Bewegung der Treasurykurve zwischen einem und drei Jahren in der Zukunft. Zwischen Frühjahr 2023 und 2025 fallen die kurzfristigen Zinsen auf Werte zwischen 2,4% und 2,5%. Dies bedeutet, dass über diesen Zweijahreszeitraum der Markt inzwischen ungefähr drei Zinsschritte nach unten einpreist. Offensichtlich glauben die Marktteilnehmer, dass die Fed gezwungen sein wird, mit erneuten geldpolitischen Lockerungen der Realwirtschaft unter die Arme zu greifen.

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass in drei Jahren der erwartete Dreimonatssatz und die Zehnjahresrendite bei jeweils 2,44% liegen. Normalerweise endet eine Rezessionsphase mit einer steilen Kurve in der Erwartung eines erneuten wirtschaftlichen Aufschwungs. Ein solches Szenario sieht der Rentenmarkt über die kommenden drei Jahre offenbar nicht als wahrscheinlich an.

Die letzte Beobachtung aus Abbildung 7 ist die, dass die Zehnjahresrendite über die nächsten drei Jahre nicht signifikant über das aktuelle Niveau von rund 2,5% steigen wird. Dies ist konsistent mit der Einschätzung, dass sich die USA noch höhere Zinsen nicht erlauben können.

Es ist zwar bekannt, dass Forward-Renditen historisch keine gute Prognosekraft für die tatsächlich realisierten Renditen hatten und diese eher als aktuelle Markterwartung der weiteren ökonomischen Entwicklung zu interpretieren sind. Dennoch stellt sich die Frage, wie es mit den US-Zinsen weitergeht.

Abbildung 8: Zehnjährige US-Zinsen im langfristigen Trend
Quelle: Bloomberg L.P. Quoniam Asset Management GmbH
Wird die Fed gezwungen sein, die Zinsen schon bald wieder zu senken?

Sind wir am Wendepunkt eines 40-jährigen Zins-Bullenmarktes in den USA angelangt angesichts einer neuen geopolitischen Lage mit höherer Inflation und weniger Nachfrage nach US-Dollar-denominierten Anleihen? Oder wird der Markt die Fed zwingen, ihre restriktive Geldpolitik zu beenden, um das Wirtschaftswachstum trotz unangenehm hoher Inflationsraten wieder zu unterstützen? Auch wir kennen nicht die Antwort auf diese Fragen. Aber was die Fed auch immer tun wird, ihre Entscheidung wird das realwirtschaftliche Umfeld und das Finanzsystem auf Jahre hinaus beeinflussen.

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