Marktkommentar Anleihen: Bonds im geopolitischen Spannungsfeld
Geopolitische Spannungen, fiskalische Risiken und divergierende Zinspolitik prägen das Anleiheumfeld im dritten Quartal 2025. Während die US-Notenbank den Zinssenkungszyklus startet, geraten europäische Staaten zunehmend unter Druck. Unternehmensanleihen behaupten sich als Stabilitätsanker in einem komplexen Marktumfeld, wie Dr. Harald Henke erläutert.
Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income
In Kürze
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Machtkonflikte und Protektionismus schwächen Europas Wettbewerbsfähigkeit und strategische Eigenständigkeit.
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Hohe Ausgaben und schwaches Wachstum belasten Europas Finanzen und treiben die langfristigen Zinsen nach oben.
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Investment-Grade-Titel zeigen Stärke und werden zum bevorzugten Stabilitätsanker im unsicheren Marktumfeld.
Das dritte Quartal 2025 war geprägt von geopolitischen Spannungen, protektionistischen Maßnahmen der USA und wachsenden fiskalischen Herausforderungen in Europa – Entwicklungen, die auch die Anleihemärkte deutlich beeinflussten.
Wachsende Fronten in der globalen Wirtschaftspolitik
Die US-Regierung setzt zunehmend rücksichtslos ihre globalen Interessen durch. Hohe Zölle und sechsstellige Visagebühren sollen Indien aus der eurasischen Integration herausbrechen. Sekundärsanktionen gegen Länder, die russisches Öl und Gas kaufen, sollen die Absatzperspektive amerikanischer Energie-Rohstoffe verbessern. Zudem erwarten die USA, dass Europa und die Golfstaaten massive Investitionen in die US-Wirtschaft leisten sollen.
Viele betroffene Länder wehren sich gegen dieses Vorgehen. Indien etwa stornierte einen Großauftrag aus den USA, schloss neue Wirtschaftsprojekte mit Russland ab, leitete diplomatisches Tauwetter mit China ein und nahm an der jüngsten russischen Militärübung teil. Die Welt läuft auf eine Zweiteilung hinaus: Ein Teil nutzt die politischen, ökonomischen und finanziellen Ressourcen und Systeme des Westens, während der andere Teil, angeführt von China und Russland, zunehmend alternative Systeme – von Settlement-Mechanismen bis Clearing-Häusern – aufbaut.
Europas strategische Schwäche und wirtschaftliche Folgen
Europa droht der große Verlierer dieser Entwicklung zu werden. Unfähig, eigene Interessen zu formulieren und zu vertreten, folgt die EU den USA auch dort, wo dieser Kurs den Interessen Europas zuwiderläuft (Energiepolitik) oder künftiges Wachstumspotenzial verhindert (Naher Osten, China). Der Verlust bezahlbarer Energie hat allein in Deutschland im Jahr 2024 zum Verlust von 50.000 Industriejobs geführt – Tendenz steigend (Quelle: Statistisches Bundesamt).
Auch die USA zeigen sich als wenig verlässlicher Partner: Während US-Präsident Trump massive Ausgaben europäischer NATO-Staaten für US-amerikanische Militärgüter fordert, endeten die Zollverhandlungen zwischen der EU-Kommission und der US-Regierung in einem Debakel für Europa. Die USA erhalten zollfreien Zugang zum europäischen Markt, während europäische Unternehmen Einfuhrzölle von 15% entrichten müssen. Da ist es wenig überraschend, dass viele europäische Unternehmen nun vermehrt Investitionen in den USA planen.
Fiskalische Risiken und steigende Langfristzinsen
Stagnierendes Wirtschaftswachstum und massive Fiskalausgaben einschließlich einer fragwürdigen Militarisierungsstrategie belasten die europäischen Staatsfinanzen. Das deutsche Militärprogramm wird ausgeglichene Haushalte auf Jahre hinaus unwahrscheinlich machen. Österreich wird von Moody’s ein „negativer Ausblick“ bescheinigt. Die Spreads französischer Staatsanleihen steigen wieder und die britische Presse zieht bereits Parallelen zum IWF-Bailout in den 1970er Jahren.
Die Kombination aus schwachem Wachstumspotenzial bei gleichzeitig steigenden Staatsausgaben und fehlender Wettbewerbsfähigkeit bei Energiepreisen führt zu steigenden Schulden, anhaltender Inflation und höheren langfristigen Zinsen.
Abbildung 1: Index 30-jähriger Zinsen ausgewählter Länder
Seit dem Zinshoch vor knapp zwei Jahren sind die dreißigjährigen US-Zinsen um 36 Basispunkte gefallen, während die Zinsen ausgewählter europäischer Länder höher liegen und wie folgt stiegen:
- Österreich + 3 Bp,
- Deutschland + 19 Bp,
- Frankreich + 34 Bp,
- Großbritannien + 53 Bp
Europa muss vermeiden, dass der Bondmarkt zum Ausgangspunkt einer größeren Krise wird.
Zinspolitik: Fed startet Lockerungszyklus
Die Zinsmärkte in den USA und Europa zeigten am kurzen Ende und im mittleren Bereich ein unauffälliges Bild. Während die deutschen Zinsen im dritten Quartal leicht anstiegen, verzeichneten die US-Zinsen leichte Rückgänge.
Abbildung 2: Zinsmärkte in den USA und Europa
Im September begann die US-Zentralbank ihren Zinssenkungszyklus mit einem Schritt um 25 Basispunkte nach unten. Gleichzeitig zeigten die veröffentlichten Zinseinschätzungen der Federal Reserve-Mitglieder („Dot Plots“) einen etwas aggressiveren Zinssenkungskurs als zuvor.
Abbildung 3: Federal Reserve Dot Plots
Sowohl für 2025 als auch für die beiden Folgejahre sehen die Fed-Mitglieder einen zusätzlichen Zinsschritt nach unten – die Erwartung bleibt klar abwärtsgerichtet.
US-Wirtschaft: Signale einer Abkühlung
Ein Grund dafür ist, dass viele Konjunkturindikatoren in den USA inzwischen nach unten gerichtet sind, wie die folgende Abbildung verdeutlicht:
Abbildung 4: Ausgewählte Konjunkturindikatoren für die USA
Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe liegt seit Anfang des Jahres konsistent unter der Expansionsschwelle von 50, das Verbrauchervertrauen ist seitdem um mehr als 10 Punkte gefallen. Besonders deutlich ist die konjunkturelle Eintrübung am US-Arbeitsmarkt zu sehen: Die Beschäftigungsänderung schwankt seit einigen Monaten um die Nulllinie – ein Niveau, das üblicherweise mit Rezessionen einhergeht.
Auch wenn zuletzt einige stärkere Wirtschaftszahlen gemeldet wurden, deutet die Tendenz in den USA in Richtung eines Wirtschaftsabschwungs. In den Risiko-Assets spiegelt sich diese Entwicklung allerdings noch kaum wider.
Credit-Spreads: Unternehmensanleihen trotzen dem Umfeld
Credit-Spreads in USD und blieben auch im dritten Quartal 2025 robust.
Abbildung 5: Credit-Spreads in Euro und USD
USD-Spreads fielen um 9, Euro-Spreads sogar um 13 Basispunkte – trotz der schwachen Konjunkturdaten. Offenbar entwickeln sich Unternehmensanleihen zum sicheren Hafen, den Investoren in einer Welt mit riskanter wirkenden Staatsanleihen ansteuern. Insbesondere große europäische Konzerne, die mit Partnern und Produktionsstätten global vernetzt sind, dürften besser als viele Staaten aufgestellt sein, um den toxischen Mix aus Protektionismus, fiskalischer Zügellosigkeit und niedrigem Wachstum zu meistern. Die Stärke von Unternehmensanleihen überrascht daher kaum.
Fazit: Stabilität durch Qualität
Auch in den USA hat der Zinssenkungszyklus begonnen. Der Zinstrend dürfte weiter abwärts zeigen, weil sich die US-Konjunktur eingetrübt hat. Während europäische Staaten unter fiskalischem Druck stehen, haben es europäische Unternehmen deutlich besser geschafft, sicher durch das aktuelle politische Umfeld zu navigieren. Der Trend, dass Investment-Grade-Unternehmensanleihen der neue sichere Hafen werden, nimmt langsam Fahrt auf.