Marktkommentar Aktien: Bye-bye Growth, hallo Value? Unsere Antworten auf Investorenfragen
Viele unserer Kundinnen und Kunden haben uns gefragt, welche Positionierung die diversen Aktienfaktoren unserer Factor-Investing-Strategien im aktuellen Marktumfeld nahelegen. Unsere Portfoliomanagerin Andjelka Bannes, CFA, teilt und erläutert unsere Erkenntnisse über Growth-, Quality-, Value- und Low-Volatility-Aktien im Kontext der dynamischen Märkte.
Andjelka Bannes, CFA
Executive Director Equities
Wissenschaftlich fundierte Faktor-Ansätze haben sich im aktiven Management von Aktienportfolios über Jahrzehnte bewährt, werden aber derzeit durch die Dominanz einer kleinen Gruppe von US-Mega-Cap-Technologieunternehmen herausgefordert: Die „Glorreichen Sieben“ oder „Magnificent Seven“ haben einen erheblichen, wenn nicht verzerrenden Einfluss auf die großen Indizes, deren Komponenten nach Marktkapitalisierung gewichtet werden (wie etwa der S&P 500). In Faktor-Portfolios, die in der Regel ohne Rücksicht auf eine Benchmark zusammengestellt werden, sind sie oft untergewichtet.
Wer nachhaltig erfolgreich investieren will, muss aber sowohl die kurzfristigen Schwankungen als auch die langfristigen Trends verstehen. Diese Dichotomie verdeutlicht sowohl die Herausforderungen als auch die Chancen, mit denen Anleger konfrontiert sind. Während Faktorstrategien über längere Zeiträume grundsätzlich von bestimmten historischen Datenreihen getrieben werden, weicht eine herrschende Marktstimmung oft ab und wird von aktuellen Trends beeinflusst. Werfen wir den Blick auf einige interessante Fragestellungen, die sich institutionelle Anleger derzeit stellen.
Ist es an der Zeit, aus Wachstumsaktien auszusteigen?
Nach einer eindrucksvollen Performance der vergangenen Monate wächst die Sorge, dass der Markt überbewertet sein könnte – das gilt insbesondere für „teure“ Wachstumswerte wie die Magnificent Seven. Unbestritten verfügen die großen Technologieunternehmen über beeindruckende Fundamentaldaten, wie etwa eine hohe Rentabilität und ein robustes Gewinnwachstum in den vergangenen zehn Jahren, aber der rasante Anstieg der Aktienkurse hat mittlerweile das Gewinnwachstum überholt. Das wirft Fragen über die Nachhaltigkeit derart hoher Renditen auf. Wir gehen davon aus, dass das künftige Gewinnwachstum stärker an das allgemeine BIP- und Inflationswachstum gekoppelt sein wird, was erhebliche Auswirkungen auf die Wachstumsaussichten der großen Technologieunternehmen haben könnte.
Wie aus Abbildung 1 links hervorgeht, liegen die Gewinne des S&P 500 derzeit über dem langfristigen Trend. Das Diagramm rechts zeigt, dass das Gewinnwachstum seit der globalen Finanzkrise von 2007-2009 unglaublich hoch war (ca. 10 %). Dieses Wachstum lag deutlich über dem volkswirtschaftlichen Gesamtwachstum (BIP+Inflation). Dieser Überschuss von mehr als 6 % ist i.d.R. nicht nachhaltig und dürfte in der nächsten Dekade deutlich niedriger ausfallen.
Abbildung 1: US-Aktien werden es schwer haben, an die Erfolgszeiten des billigen Geldes anzuknüpfen
Darüber hinaus könnten die außergewöhnlich hohen Gewinnmargen des Wachstumssektors an natürliche Grenzen stoßen. Angesichts der bereits hohen Marktanteile bestehen Bedenken hinsichtlich der künftigen Umsatzwachstumsraten. In der Tat zeigen die Korrelationen bereits heute Anzeichen einer Schwäche, da Nvidia, Amazon und Meta anziehen, während Tesla und Apple nachgeben. Wenn Korrelationen zu wackeln beginnen, war dies in der Vergangenheit ein Indikator dafür, dass einer Rallye die Luft ausgeht. Das Timing solcher Mittelwertumkehrungen ist jedoch nach wie vor äußerst schwierig, und bisher hat der Technologiesektor mit seinen monopolistischen Strukturen weiterhin mit robustem Gewinn- und Umsatzwachstum überzeugt.
Abbildung 2: Fundamentale Performance der „Magnificent Seven”
Aus einer strategischen Perspektive betrachtet könnte die Performance von Wachstumsaktien in den kommenden Jahren aufgrund höherer Zinsen, größerer Hürden bei der Finanzierung und zunehmender Unsicherheit über die Nachhaltigkeit des hohen Gewinnwachstums sowie der Gewinnspannen einen Dämpfer erhalten.
Wie sehen die Aussichten für Quality-Aktien aus? Welche Branchen und Kennzahlen sind besonders zu beachten?
Der Faktor „Quality“ ist – im Gegensatz zu anderen Faktoren – für Investmentmanager und Indexanbieter recht wenig standardisiert. Er umfasst in der Regel Kennzahlen wie Rentabilität, Margenindikatoren und Messgrößen für finanzielle Robustheit und Ertragsstabilität. Während die Rentabilität tendenziell positiv mit dem Wachstum und negativ mit dem Faktor Value korreliert, könnte eine potenzielle Abschwächung des Margenwachstums (und damit der Rentabilität) trotz der Konsenserwartungen eines positiven Gewinnwachstums zu unerwarteten Rückschlägen für Aktien von Unternehmen mit hoher Qualität/hoher Rentabilität führen.
Aus unserer Sicht neigen „Quality“-Strategien oft zu einer Übergewichtung hochprofitabler (Unter-)Branchen, so wie dies aktuell bei Aktien der Luxusgüterindustrie im Vergleich zu zyklischen Konsumwerten, wie etwa Automobilwerten, zu beobachten ist. Allerdings überstrahlen die Einflüsse einzelner Aktien häufig die Branchenerwägungen (z.B. wird Tesla bei Automobilen favorisiert und Nvidia bei Halbleitern). Daraus schließen wir, dass Einzeltiteleffekte bei Quality-Strategien tendenziell wichtiger sind als Brancheneffekte. In Bezug auf solche Brancheneffekte besteht wiederum kein Konsens darüber, ob Kennzahlen branchenübergreifend (sowie bezogen auf Länder/Regionen) angepasst oder neutralisiert werden sollten und auf welcher Ebene (Sektor vs. Branchengruppe vs. Branche). Während die meisten aktiven Manager ein gewisses Maß an Neutralisierung vornehmen, variiert der Detaillierungsgrad (z.B. Neutralisierung auf Sektor-Ebene, aber nicht auf Ebene der (Unter-)Branche).
Welche Erwartungen haben Sie angesichts der Wirtschaftsaussichten an Momentum-Strategien?
Derzeit deutet unsere Analyse darauf hin, dass die positive Korrelation zwischen Momentum und (teuren) Wachstumswerten bestehen bleibt. Während dieser Trend häufig zu kurzfristigen Gewinnen führt, sehen wir aber potenzielle Gefahren, wenn die Bewertungen überzogen werden. Während kurzfristige Gewinne durch den Momentum-Stil erwartet werden können, mahnen die zunehmenden Risiken zur Vorsicht: Es besteht ein erhebliches Risiko einer deutlichen Underperformance, wenn die Gewinndynamik bei diesen Titeln nachlässt oder hinter den (hohen) Erwartungen zurückbleibt.
Es ist auch erwähnenswert, dass manche Manager bei der Anwendung des Momentum-Faktors die Sektor-, Branchen- oder Ländereffekte nicht angemessen neutralisieren und dadurch die damit verbundenen Risiken verstärken.
Welche Erwartungen haben Sie angesichts der wirtschaftlichen Aussichten für den Faktor „Value“? Welche Sektoren und Kennzahlen werden die Investitionstätigkeit der Faktor-Strategie besonders stark beeinflussen?
Definitionsgemäß bildet der Value-Faktor das Gegenstück zum Growth-Faktor (und in gewissem Maße auch zum Quality-Faktor). Da die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aktuell die Erwartungen übertreffen, gehen wir davon aus, dass zyklische Value-Aktien florieren werden. Das gilt insbesondere angesichts der potenziellen Risiken für Wachstumsaktien in den nächsten 1-3 Jahren. Ähnlich wie bei Quality-Aktien werden Value-Faktoren oft über Regionen und Sektoren/Branchen hinweg neutralisiert, obwohl diese Neutralisierung unvollkommen sein kann.
Normalerweise neigt eine Value-Strategie dazu, die Magnificent Seven unterzugewichten, indem man beispielsweise günstigere Halbleiterunternehmen einem Investment in Nvidia vorzieht. Bei einem Wirtschaftsabschwung können Value-Aktien jedoch vor Herausforderungen stehen, wobei regionale Unterschiede eine wichtige Rolle spielen. So könnte die US-Wirtschaft mit einer sanften Landung besser als erwartet abschneiden, während die Wirtschaftsaussichten in Europa und insbesondere in China schwächer ausfallen.
Während der Value-Faktor in den entwickelten Märkten nicht wesentlich leiden dürfte, könnten externe Faktoren, wie etwa die Wahlen in den USA oder potenzielle Probleme im (Gewerbe-)Immobiliensektor, unerwartete Hürden darstellen.
Was erwarten Sie von der Entwicklung des Low-Volatility-Faktors im kommenden Jahr?
Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, den Unterschied zwischen einer Minimum-Volatility-Strategie und einer Low-Volatility-Faktor-Strategie (auch: Low-Beta-Faktor-Strategie) zu verstehen. Während erstere auf Portfolioebene sowohl geringe Volatilitäten als auch niedrige Korrelationen anstrebt, finden wir mit Hilfe von Low-Volatility-Faktoren einzelne Aktien mit den gewünschten Eigenschaften.
Wenn Sie ein Long-only-Portfolio in Erwägung ziehen, das sich auf das Minimum-Volatility-Portfolio oder Aktien mit niedriger Volatilität konzentriert, sollten Sie den defensiven Charakter dieses Ansatzes im Vergleich zu Long/Short-Strategien beachten. Eine niedrige Volatilität führt zwar in der Regel nicht zu einer Outperformance innerhalb einer Long-only-Strategie, jedoch mindert sie das Risiko.
In der Vergangenheit haben Aktien mit niedriger Volatilität oder geringem Beta vergleichbare Renditen wie der Markt erzielt – allerdings mit einem deutlich reduzierten Risiko, selbst unter den ungünstigen Marktbedingungen nach der globalen Finanzkrise ab 2009. Die Dominanz einiger weniger Aktien, wie beispielsweise der Magnificent Seven in den US-Indizes und im MSCI World stellte jedoch eine Herausforderung für Portfolios mit minimaler Volatilität dar, auch wenn sie in den Schwellenländern gut abschnitten.
Abbildung 3: Realisierte Rendite und Risiko für US-Aktien mit hoher Marktkapitalisierung, geordnet nach bisherigem Beta
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der MinVol-Stil bei einer geopolitischen und makroökonomischen Verschlechterung als Absicherung fungieren und bei einer Enttäuschung der US-Großtechnologie gedeihen könnte. Die aktuelle Marktstimmung scheint dieser Vorstellung jedoch zu widersprechen. Im Gegensatz zu Value-Strategien, die ebenfalls gegen Big Tech wetten, dürften sich Low-Vol-/Min—Vol-Strategien bei einem Wirtschaftsabschwung als widerstandsfähiger erweisen.
Die Balance zwischen langfristigen Trends und kurzfristigen Signalen ist entscheidend für den Anlageerfolg
Aktuell beobachten wir eine deutliche Diskrepanz zwischen den langfristigen Datentrends und den kurzfristigen Marktsignalen. Die langfristigen Wahrscheinlichkeiten begünstigen Value-, Small-Cap- und Low-/Min-Vol-Strategien, während die kurzfristigen Trends weiterhin Quality, Growth, Large-Cap und Momentum favorisieren. Da sich die konjunkturellen Signale verbessern, dürften sich zyklische Value/Mid-Cap-Aktien (wenn auch nicht unbedingt diejenigen mit geringer Volatilität) gut entwickeln, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte. Politische Instabilität könnte jedoch bei zyklischen Aktien zu unerwarteten Rückschlägen führen.
Angesichts dieser Unwägbarkeiten empfehlen wir einen ausgewogenen Multi-Faktor-Ansatz, der ein übermäßiges Engagement in einer Richtung vermeidet. Wir raten dazu, offensichtliche Risiken zu vermeiden, wie etwa Anlagen in unrentable (qualitativ minderwertige) Wachstumstitel oder übermäßig teure Momentum-Titel.