Marktkommentar Anleihen: Die richtige Balance finden zwischen rezessiven Trends und Marktchancen

Hartnäckige Inflation, eine aggressive Zentralbankpolitik und rezessive Tendenzen – Dr. Harald Henke analysiert die wachsenden Herausforderungen an den Rentenmärkten und zeigt auf, wie sich Anleger im aktuellen Marktumfeld positionieren können.

Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy

Das dritte Quartal 2023 war eine Fortsetzung der Vorquartale: Inflationssorgen und steigende Zinsen auf der einen Seite, weiterhin Konjunktursorgen auf der anderen Seite. Über die nächsten Quartale dürfte sich diese widersprüchliche Situation auflösen.

Inflation bleibt hartnäckig hoch

Nachdem die Inflationsrate in den USA im Juni auf 3,0 % und damit nah an die Zielgröße der Fed gefallen war, zogen die Preise im Laufe des dritten Quartals wieder an und erreichten Mitte September einen Wert von 3,7 %. In Deutschland fällt die Inflationsrate zwar noch, liegt aber mit zuletzt 4,5 % weiterhin weit über dem Niveau, mit dem sich die EZB wohlfühlen dürfte. Besonders beunruhigend ist hier, dass für die USA die Kerninflationsrate, die um volatile Lebensmittel- und Energiepreise bereinigt ist, sogar zuletzt um 4,3 % angestiegen ist.

Abbildung 1: Inflationsraten in den USA und Deutschland
Quelle: Bloomberg L.P.
Geldpolitik aggressiver als erwartet bei steigenden Zinssätzen

Während die Fed auf die höhere Inflationsrate mit einem erwarteten Zinsschritt auf 5,5 % reagierte, legte die EZB im dritten Quartal zwei Zinsschritte vor und erhöhte den Leitzins von 4 % auf 4,5 %. Dieser zweite Schritt war von den meisten Marktteilnehmern nicht erwartet worden. Während EZB-Präsidentin Christine Lagarde weiterhin aggressive Zinsbekämpfungsrhetorik an den Tag legte, schockierte die Fed im September mit den neuesten Dot Plots, eine Schätzung aller Mitglieder des künftigen Zinspfads. Für das Jahr 2024 stieg die Medianschätzung im Vergleich zur Juni-Veröffentlichung um einen halben Prozentpunkt von 4,625 % auf 5,125 %. Mit einer solchen Anpassung innerhalb von nur drei Monaten hatten die wenigsten Marktteilnehmer gerechnet. Entsprechend stieg der erwartete Dreimonatszins in den USA – gemessen an den Geldmarkt-Futures – für Dezember 2024 von 4 % auf 4,6 % an.

Diese Entwicklungen führten dazu, dass die Zinsen in Q3 nur eine Richtung kannten – aufwärts. Dies war auf beiden Seiten des Atlantiks sehr deutlich zu sehen.

Abbildung 2: Zinsen in den USA und Deutschland
Quelle: Bloomberg L.P.

Während sich die zweijährigen Zinsen in den USA um 14 ausweiteten und in Deutschland unverändert blieben, war der Zinsanstieg vor allem am langen Ende der Kurve abzulesen. So stiegen die Zehnjahreszinsen in den USA um 73 Basispunkte auf 4,57 % und in Deutschland um 45 Basispunkte auf 2,84 %. Zwar sind damit die Zinskurven nach wie vor invers, aber bei weitem nicht mehr so stark wie noch vor drei Monaten. Eine Auflösung der Inversion geht oft mit dem Beginn einer Rezession einher.

Credit Spreads weiterhin entspannt

Von einem Rezessionsniveau sind die Credit Spreads im Investment Grade (IG) allerdings weit entfernt. Auf Quartalssicht sahen die Märkte eine leichte Outperformance von Euro- gegenüber USD-Spreads.

Abbildung 3: Credit Spreads
Quelle: Bloomberg L.P.

Credit Spreads fielen deutlich im Juli, zeigten einen Rebound im August und liefen im September seitwärts. Auf Quartalssicht fielen die EUR-IG-Spreads um 10 Basispunkte auf 1,53 %, während sich die USD-IG-Spreads um 1 Basispunkte auf 1,14 % ausweiteten. Ein flüchtiger Beobachter würde bei Betrachtung dieser Risikoaufschläge ein ruhiges Konjunkturumfeld vermuten.

Weiterhin dunkle Wolken am Konjunkturhimmel

Die Konjunkturentwicklung bietet weiter Grund zur Sorge. Deutschland ist in der Rezession, und die Wachstumsaussichten werden monatlich heruntergenommen. Aber auch in den USA gibt es eine Reihe von Konjunkturindikatoren, die auf eine Wachstumseintrübung Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres hindeuten:

  • Der US-Arbeitsmarkt scheint seinen Zenit überschritten zu haben. War die Arbeitslosenquote zu Jahresbeginn mit 3,4 % noch auf dem niedrigsten Stand seit den späten 1960er Jahren, lag sie zuletzt mit 3,8 % auf einem 18-Monatshoch.
  • Immobilienmärkte weltweit sind aufgrund der gestiegenen Zinsen in Schieflage geraten. Rapide steigende Immobilienzinsen, rückläufige Preise und ein Rückgang der Anträge auf Baugenehmigungen sprechen hier eine eindeutige Sprache.
Abbildung 4: Baugenehmigungen in den USA und Deutschland
Quelle: Bloomberg L.P.
  • Unternehmenspleiten sind auf dem Vormarsch. In den USA vervierfachte sich die Quote von HY-Bonds im Default und liegt aktuell bei 4,7 %.
Abbildung 5: HY-Defaults
Quelle: Moody’s Corp.
  • Die Einkaufsmanagerindizes des verarbeitenden Gewerbes stiegen zwar zuletzt an, liegen aber nach wie vor unterhalb der Expansionsschwelle von 50. Insbesondere in Europa sind die Werte teilweise sogar weit von 50 entfernt.
Wohin geht die Marktentwicklung?

Die aktuelle Situation hält zwar schon einige Zeit an, ist dauerhaft aber nicht durchzuhalten. Eine Rezession wird mittelfristig auch die Inflationsraten und damit die Zinsen senken, während eine konjunkturelle Entspannung vermutlich zu erneutem Preisauftrieb führen dürfte. Dazu kommt, dass Zinsen hoch sind und weiter steigen, was wiederum die Rezessionswahrscheinlichkeit erhöht. Die Verschuldung in den USA liegt inzwischen doppelt so hoch wie während der Finanzkrise 2007-2009 und höhere Zinsen machen sich mittelfristig in verlorener Kaufkraft der Konsumenten, geringeren Gewinnen der Unternehmen und höherer Verschuldung der Regierung bemerkbar. Auch wirkt Geldpolitik mit einer Verzögerung von im Schnitt neun bis zwölf Monaten, sodass der volle Effekt der Zinserhöhungen sich noch nicht realwirtschaftlich bemerkbar gemacht hat.

Die bisher sehr entspannte Reaktion der Credit-Märkte muss nicht unbedingt durch Optimismus über die Konjunkturentwicklung bedingt sein. Da 2024 ein Wahljahr in den USA ist, mag der eine oder andere Marktteilnehmer mit großzügiger Unterstützung der Fed rechnen, wie dies auch schon in den vergangenen Wahlzyklen zu sehen war. Sollte dies nicht passieren, können sich Fixed Income-Anleger wie folgt positionieren:

  • Spread-Risiken sollten nicht zu hoch gewichtet werden. In einem solchen Szenario ist mit Spread-Ausweitungen zu rechnen, sodass eine eher vorsichtige DTS-Positionierung in den Portfolios angebracht erscheint.
  • Im Gegenzug sollte eine solche Bewegung zu fallenden Zinsen und damit positiven Zins-Returns führen. Aktuell ist die Rendite kurzlaufender Credits am höchsten, Bondfuture-Hedges erhöhen sogar die Rendite. In dem oben definierten Szenario wäre hingegen eine längere Zins-Duration angebracht.
  • Für High-Yield-Investoren bietet sich eine Strategie an, die nicht mit vollem Markt-Beta investiert ist. Short-Duration-High-Yield-Ansätze könnten hier eine Lösung für Investoren in diesem Marktsegment sein.
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