Rezession voraus – Wie reagieren die Zentralbanken?

Wie entwickelt sich die Inflation? Dr. Harald Henke betrachtet die Reaktionen der Zentralbanken und die damit verbundenen Entwicklungen von Leitzinsen und Inflation in der aufkommenden Rezession mit Blick auf die Eurozone und die USA.

Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy

Das zweite Quartal 2022 war durch eine weitere Beschleunigung der Inflationsraten gekennzeichnet. Sanktionen gegen Russland haben die Energiepreise weiter in die Höhe getrieben und Preise auf breiter Front steigen lassen. Sowohl in den USA als auch in der Eurozone liegt die jährliche Inflation inzwischen bei über 8 %. Auch stützende Maßnahmen wie die temporäre Reduktion von Steuern in Deutschland haben keine Trendwende in der Preisentwicklung gebracht.

Abbildung 1: Inflationsraten in der Eurozone und den USA
Quelle: Bloomberg L.P.
Der Markt erwartet spürbare Leitzinserhöhungen

Entsprechend haben die Zentralbanken weltweit im zweiten Quartal ihre Geldpolitik weiter verschärft. Die Fed erhöhte den Leitzins in zwei Sitzungen von 0,5 % auf 1,75 % und hat die Reduktion ihrer Bilanz begonnen („Quantitative Tightening“), während die EZB in der zweiten Jahreshälfte Zinserhöhungen in Aussicht gestellt hat. Dies spiegelte sich in steigenden Geldmarktzinsen wider. Die folgende Abbildung zeigt die Erwartungen für die Dreimonatszinsen für die USA und die Eurozone im Dezember 2022.

Abbildung 2: Impliziter Geldmarktzins im Dezember 2022 (USA und Eurozone)
Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management

Wie man aus der Grafik erkennen kann, hat sich der erwartete Leitzins in beiden Währungsräumen weiter erhöht:

  • In den USA stieg die Erwartung für den Dreimonatszins im Dezember 2022 von 2,66 % Ende März auf bis zu 4,15 % (sechs zusätzliche Zinsschritte) und liegt aktuell bei 3,67 % (vier zusätzliche Zinsschritte).
  • In der Eurozone stieg die Erwartung für den Dreimonatszins im Dezember 2022 von 0,28 % auf bis zu 1,57 % (fünf zusätzliche Zinsschritte) und liegt aktuell bei 0,96 % (drei zusätzliche Zinsschritte).

Zwar sind die Zinserwartungen an die Zentralbanken über das Quartal weiter gestiegen, in den letzten Wochen sind allerdings zwei Zinsschritte wieder ausgepreist worden. Hintergrund dessen ist ein deutlicher Rückgang von Konjunkturindikatoren. Zahlreiche Marktteilnehmer erwarten den Beginn einer Rezession noch in diesem Jahr oder spätestens 2023.

Konjunkturindikatoren weisen auf einen deutlichen Abschwung hin

In der Tat weisen eine Reihe von Konjunkturindikatoren auf einen deutlichen Abschwung hin:

  • Einkaufsmanager-Indizes (PMI) in den USA und der Eurozone sind seit Jahresbeginn deutlich gefallen und nicht mehr weit vom Niveau von 50 entfernt, das Expansion von Kontraktion trennt.
  • Das reale Geldmengenwachstum in den USA und der Eurozone ist inzwischen nicht nur negativ, sondern auch auf dem niedrigsten Stand dieses Jahrhunderts.
  • Das Konsumentenvertrauen in den USA ist gemäß dem Indikator der Universität Michigan auf dem tiefsten Stand aller Zeiten.
  • Nach negativem Wachstum in Q1/2022 prognostiziert der Nowcasting-Indikator der Atlanta Fed für die USA inzwischen auch deutlich negatives Wachstum in Q2/2022. Dies würde die Definition einer technischen Rezession erfüllen.
Abbildung 3: PMI-Indizes für USA und Eurozone
Quelle: Bloomberg L.P.
Abbildung 4: Reales Geldmengenwachstum in den USA und der Eurozone
Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management GmbH
Abbildung 5: Verbrauchervertrauen der Universität Michigan
Quelle: Bloomberg L.P.
Abbildung 6: Atlanta Fed Nowcast des BIP-Wachstums in den USA
Quelle: Bloomberg L.P.

Die Konjunkturindikatoren deuten auf eine bevorstehende Rezession hin, die – je nachdem, welche Indikatoren man heranzieht – mehr oder weniger schwer ausfallen wird. Daher stellen sich insbesondere folgende Fragen: Wie entwickelt sich die Inflation? Wie lange setzen die Zentralbanken ihre restriktive Geldpolitik fort? Wann fallen die Zinsen wieder und wann wird Quantitative Tightening durch eine neue Runde Quantitative Easing (Bondkäufe durch die Zentralbanken) ersetzt?

Rückläufige Erwartungen zu Inflation und Zinsen

Die Markterwartungen hierzu sind insbesondere für die USA sehr deutlich. Die nächste Abbildung zeigt die Inflationserwartungen über die nächsten fünf Jahre für die USA und Deutschland.

Abbildung 7: Fünfjährige Breakeven-Inflation für die USA und Deutschland
Quelle: Bloomberg L.P.

Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, sind die Inflationserwartungen seit einiger Zeit rückläufig. Sowohl für die USA als auch für Deutschland ist die erwartete durchschnittliche Inflationsrate über die nächsten fünf Jahre von einem Spitzenwert von etwa 3,5 % im März auf zuletzt etwas über 2,5 % gefallen. Während dieser Wert für Deutschland immer noch über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre liegt, ist der Wert für die USA inzwischen so niedrig wie im September letzten Jahres.

Die Leitzinserwartungen zeigen eine deutliche Divergenz zwischen dem Zinspfad in den USA und der Eurozone. In Nordamerika hat es bereits Zinsschritte gegeben, und weitere aggressive Zinserhöhungen gelten am Markt als ausgemacht. In Europa hingegen steht der erste Zinsschritt noch aus. Daher hängt Europa den USA in der Zinsdynamik hinterher.

Abbildung 8: Implizite Geldmarktzinsen für die USA und die Eurozone
Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management

Sowohl in den USA als auch der Eurozone sind bis Ende 2022 fünf Zinsschritte nach oben eingepreist. Während über die folgenden zwei Jahre die Zinserwartungen für die Eurozone konstant sind, sind für die USA ab Anfang 2023 vier Zinsschritte nach unten eingepreist. Dies suggeriert zum einen Politikfehler der Fed, die nach Meinung des Marktes den Großteil der aggressiven Zinsschritte wieder zurücknehmen muss. Zum anderen gilt es als unwahrscheinlich, dass ein Konjunktureinbruch in den USA, der von der Fed mit vier Zinsschritten nach unten beantwortet wird, keinerlei vergleichbare Reaktion in der Eurozone auslöst. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Zinserwartungen in Europa anpassen werden.

Systemische Risiken in der Eurozone

Während die Fed neben dem Inflationsmandat auch ein Wachstumsmandat hat, ist die EZB – zumindest inoffiziell – neben dem Inflationsziel dem Zusammenhalt der Eurozone und damit ihrer eigenen Existenzberechtigung verpflichtet. Insofern ist ein Blick auf die Spreads von Staatsanleihen aus der Peripherie, also der Renditedifferenz zu deutschen Staatsanleihen, immer auch ein Barometer für Eingriffe der EZB in den Markt.

Abbildung 9: Spreads von Peripherie-Staatsanleihen
Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management

Wie aus der Abbildung ersichtlich, sind steigende Zinsen und Credit Spreads einhergegangen mit einem Anstieg der Risikoaufschläge von Periphierie-Staatsanleihen. Während sich die Spreads Spaniens bis Mitte Juni auf 1,36 % ausweiteten, stiegen die italienischen Spreads gegenüber deutschen Staatsanleihen auf 2,42 %. Aufgrund dieser dynamischen Anstiege griff die EZB ein und stellte mehr Flexibilität bei den Programmen in Aussicht. Dazu zählt auch eine Abweichung vom Schlüssel zur Allokation von Bondkäufen über Länder. Dies hat Peripherie-Spreads etwas beruhigt, allerdings bleibt abzuwarten, ob die angekündigten Maßnahmen ausreichen, eine weitere Ausweitung der Spreads zu verhindern.

Wie werden die Zentralbanken reagieren?

Weltweit stehen die Zentralbanken vor einer wenig beneidenswerten Aufgabe. Sie steuern durch ein Konjunkturumfeld, das gekennzeichnet ist durch einen deutlichen Abschwung mit bevorstehender Rezession, angebotsgetriebener Inflation, die auf dem höchsten Stand seit 40 Jahren steht, und einem unberechenbaren geopolitischen Umfeld, das weitere wirtschaftliche Schocks bereithalten könnte.

Wie reagieren die Zentralbanken, wenn wir eine Rezession mit gleichzeitig weiter beschleunigender Inflation erhalten? Wie werden die einzelnen Ziele Wachstum und Inflation zueinander gewichtet? Und welche systemischen Risiken liegen unter der Oberfläche und werden in einem Krisenszenario sichtbar?

Der Markt erwartet einen deutlichen Konjunkturabschwung und damit einhergehend einen Rückgang der Inflationsraten durch den Nachfrageeinbruch auf für Zentralbanken akzeptables Niveau. Andere Analysten weisen auf die hohen Lagerbestände hin, deren Abbau üblicherweise einhergeht mit Preissenkungen. Entsprechend erwartet der Markt bereits ab Anfang nächsten Jahres das Ende des Zinserhöhungszyklus.

Sollte der Konjunktureinbruch deutlich ausfallen, sind sogar neue Stimuli realistisch. Da in den USA im November bei den Wahlen aller Wahrscheinlichkeit nach das Parlament in die Hände der Republikaner fallen wird, ist es unwahrscheinlich, dass danach größere Fiskalpakete aufgelegt werden. Das wahrscheinlichste Szenario ist demnach die nächste Runde Quantitative Easing. Der Markt beginnt dies bereits zu antizipieren.