Wie institutionelle Anleger sich an globale ESG-Veränderungen anpassen
Wie positionieren professionelle Investoren ihre Portfolios im aktuellen, unsicheren politischen und wirtschaftlichen Umfeld im Hinblick auf ESG? Claudia Röring, Head of Product Management und Mitglied des Sustainable Investment Committee von Quoniam, erläutert zentrale Entwicklungen und zeigt auf, wie die Integration von Daten Investoren bei der Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele effektiv unterstützen kann.

Nach dem Höhepunkt des ESG-Interesses europäischer Anleger im Zuge der SFDR scheint die Dynamik durch geopolitische Verschiebungen, insbesondere nach der letzten US-Präsidentschaftswahl, gebremst. Wie haben Sie die Reaktion der Kunden erlebt?
Im Jahr 2022, als die regulatorischen Rahmenbedingungen auf EU-Ebene noch nicht abschließend geklärt waren, verzeichneten wir einen deutlichen Anstieg der Anfragen zur ESG-Implementierung. Mit zunehmender Klarheit und wachsendem regulatorischen Verständnis der Investoren ging die Anzahl der Anfragen in den Jahren 2023 und 2024 jedoch spürbar zurück. Bereits vor dem Regimewechsel in den USA zeichnete sich eine Normalisierung des Interesses an ESG-Implementierung ab. Heute firmieren die meisten Publikumsfonds unter Artikel 8, und zahlreiche institutionelle Investoren haben ihre Mandate entsprechend angepasst. Vorrangig stehen dabei klimabezogene Kennzahlen wie der CO₂-Fußabdruck oder die Emissionsintensität im Fokus. Breiter angelegte Nachhaltigkeitsthemen wie die Sustainable Development Goals (SDGs) spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.
Lässt sich derzeit eine Rückkehr institutioneller Investoren zu Rüstungswerten beobachten, nachdem diese zuvor vielfach ausgeschlossen wurden?
Ein grundlegender Strategiewechsel der Investoren ist bislang nicht erkennbar. Allerdings beobachten wir in Einzelfällen punktuelle Anpassungen der Ausschlusskriterien. Vor dem Hintergrund der veränderten Schuldenpolitik der Bundesregierung und geplanter Investitionen in den Verteidigungssektor könnte der Druck auf institutionelle Investoren zunehmen, Ausschlüsse in Rüstungssektor zu überdenken. Viele deutsche Investoren orientieren sich in diesem Zusammenhang am ESG-Zielmarktkonzept, das Rüstungsunternehmen inzwischen nicht mehr ausschließt.
Wie reagiert Quoniam auf den Wandel der Anlegerbedürfnisse im ESG-Kontext?
Unser ESG-Ansatz ist konsequent auf die individuellen Ziele und Präferenzen unserer Kunden ausgerichtet. Die zentrale Fragestellung lautet stets: Wie positionieren sich der Investor und seine Stakeholder hinsichtlich Nachhaltigkeit, und welche konkreten Ziele sollen erreicht werden?
Im Portfolio konzentrieren wir uns vor allem auf zwei zentrale Hebel: Ausschlüsse und die ESG-Integration. Quoniam hat Mindestausschlusskriterien, die für sämtliche Fonds gelten und sich an internationalen Normen zu kontroversen Geschäftspraktiken orientieren. Gleichzeitig können unsere Kunden ihre eigenen Ausschlusskriterien einbringen. Je nach Kundenperspektive raten wir ggf. zu einer gezielten Verringerung der Ausschlüsse im Austausch für einen KPI-Ansatz durch intelligente Integration.
Wenn der Kunde beispielsweise die CO₂-Intensität seines Portfolios durch gezielte Ausschlüsse senken möchte, lässt sich dies durch unseren datengestützten, wissenschaftlich fundierten Integrationsansatz oft effizienter und flexibler realisieren.
Warum ist ESG-Integration Ausschlüssen gegenüber vorzuziehen?
Der Ausschluss bestimmter Unternehmen oder Branchen kann die Diversifikation eines Portfolios deutlich einschränken und gleichzeitig den Tracking Error erhöhen.
Der integrierte Ansatz von Quoniam basiert auf ganzheitlicher Betrachtung. ESG-Integration bedeutet für uns, dass Nachhaltigkeitsdaten und relevante Kennzahlen sowohl in die Wertpapierauswahl als auch in die Portfoliokonstruktion einbezogen werden. Bereits bei der Mandatsauflegung berücksichtigen wir individuelle Zielsetzungen der Kunden ebenso wie thematische Schwerpunkte und regulatorische Anforderungen.
Im Rahmen des aktiven Portfoliomanagements optimieren wir die Zusammensetzung des Portfolios anhand verschiedener ESG-Kriterien, darunter ESG-Ratings und CO₂-Intensität, in Verbindung mit unseren Prognosen zu Alpha, Risiko und Transaktionskosten. Dabei halten wir beispielsweise Tracking-Error-Vorgaben automatisch ein. Auf diese Weise können wir das Portfolio auf das gewünschte Nachhaltigkeitsprofil abstimmen. Alle Richtlinien und Schwellenwerte können gezielt an die individuellen KPIs des Kunden angepasst werden.
Führt Quoniam ESG-Research durch?
Wir wenden bei ESG die gleiche wissenschaftliche Gründlichkeit an wie bei unserem gesamten Investmentprozess. Das Research-Team von Quoniam hat bedeutende Arbeiten verfasst, die auf Konferenzen vorgestellt oder in Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Dazu gehören Bonds with Benefits, Credit Factor Investing: Kombination von Nachhaltigkeit und Outperformance und Zukunftsbezogene Klimakennzahlen in Dekarbonisierungsportfolios. Das Team erschließt kontinuierlich neue Datenquellen im Rahmen des Datenbeschaffungsprozesses. Dadurch wird der Zugang unserer Kunden zu den aussagekräftigsten Daten für ihre Portfolios sichergestellt.
Welche Rolle spielt Engagement in Ihrem Prozess?
Engagement bildet die dritte zentrale Säule unseres ESG-Ansatzes und ergänzt das tägliche Portfoliomanagement. In diesem Bereich arbeiten wir eng mit unserer Muttergesellschaft Union Investment zusammen. Dabei konzentrieren wir uns auf Unternehmen, bei denen wir sowohl einen klaren Handlungsbedarf als auch eine realistische Chance auf positive Wirkung erkennen. Wir stehen in kontinuierlichem Austausch mit den ESG-Analysten von Union Investment und bringen uns aktiv in die Auswahl der Unternehmen und Themen im Rahmen des Engagement-Dialogs ein.
Hat sich das Bekenntnis von Quoniam für ESG in den letzten Jahren verändert?
Quoniam ist seit 2012 Unterzeichner der UN PRI und bekennt sich auch heute uneingeschränkt zu dieser Verpflichtung. Ungeachtet der veränderten politischen Rahmenbedingungen in den USA, wo ESG-Aspekte in den Hintergrund geraten sind, gehen wir davon aus, dass viele europäische Investoren ihren Einsatz für den Klimaschutz und eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung fortsetzen werden.
Während sich zahlreiche US-Investmentgesellschaften aus dem ESG-Bereich zurückziehen, werden wir unsere Kunden auch weiterhin dabei unterstützen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen – in Europa ebenso wie in anderen Regionen.