Wie attraktiv ist Investment Grade Credit?

Was bedeutet die aktuelle Marktlage für liquide Instrumente? Dr. Harald Henke erläutert inwieweit eine Anlage in Euro Investment Grade-Unternehmensanleihen im Szenario mit rückläufiger Inflationsrate und zunehmenden Rezessionssorgen sinnvoll ist.

Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy

Im Artikel „Wie schlagen sich Staats- und Unternehmensanleihen in einem Stagflationsumfeld?” haben wir analysiert, wie sich ein Investor positionieren kann, der ein längerfristiges stagflationäres Umfeld befürchtet, das jenem der 1970er Jahre ähnelt. Der Markt sieht allerdings inzwischen auch ein anderes Szenario mit einer rückläufigen Inflationsrate und zunehmenden Rezessionssorgen als wahrscheinlich an. Wie sinnvoll ist es in einem solchen Umfeld in Investment Grade-Unternehmensanleihen zu investieren?

Schwieriges Marktumfeld im ersten Halbjahr 2022

Von hohen Inflationsraten getrieben, stiegen die Zinsen auf beiden Seiten des Atlantiks stark an, während Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen markant in die Höhe getrieben wurden. Entsprechend waren die realisierten Returns eines Investment Grade Credit-Investors in der ersten Jahreshälfte 2022 zweistellig negativ, unabhängig davon, ob das Investment in Euro, Global oder USD IG erfolgt ist. Mit europäischen Unternehmensanleihen wurden Verluste von ca. 12% eingefahren, das ist der mit Abstand schlechteste Return, der seit Einführung des Euro jemals erzielt wurde.

Abbildung 1: Jahresreturns für Euro IG Credit seit Euro-Einführung
Quelle: Bloomberg L.P., Quoniam Asset Management
Renditen sind attraktiv geworden

Dieser Anstieg von Risikoaufschlägen und Zinsen hat das Renditeniveau von Unternehmensanleihen auf ein deutlich höheres Niveau gebracht. Die Rendite des Bloomberg Aggregate Euro Corporate Index stieg zum Ende des ersten Halbjahres 2022 auf 3,19% und notierte zuletzt leicht unter 3%. Dabei kamen rund 1% von der Zins- und gut 2% von der Creditseite. Ein aktiv gemanagtes Euro IG Credit-Portfolio kann aktuell zwischen 3% und 3,5% Rendite vereinnahmen, was der Renditeanforderung vieler institutioneller Anleger entspricht.

Die Total Return-Erwartung liegt außerdem über der laufenden Rendite, da neben der Verzinsung aufgrund der Kurvensteilheit noch zusätzlich ein Rolldown-Effekt vereinnahmt werden kann. Bei einer steilen bzw. normalen Zins- oder Spreadkurve entsteht ein zusätzlicher Return dadurch, dass Anleihen aufgrund ihrer sich über die Zeit verkürzenden Restlaufzeit auf niedrigere Renditeniveaus fallen (und damit auf höhere Preise steigen). Berücksichtigt man diesen Rolldown-Effekt ergeben sich aktuelle Renditeerwartungen von 3,7% für die Euro IG-Benchmark und über 4% für aktiv gemanagte Portfolios.

Die Renditen für Global IG Credit und USD IG Credit sind aufgrund der aktuell hohen Hedgekosten etwas niedriger. Dies kann sich bei einer Konvergenz der Leitzinsen in den USA und der Eurozone dynamisch ändern. Aufgrund der aktuellen Zahlen konzentrieren wir uns in der vorliegenden Analyse auf Euro IG Credit.

Abbildung 2: Total Return-Erwartung für Euro IG Credit
Quelle: Quoniam Asset Management
Credits sind auch im Vergleich zu anderen Assetklassen attraktiver geworden

Aktuell erscheinen die Renditen von Unternehmensanleihen attraktiv, wie auch der Vergleich mit anderen Assetklassen zeigt.

Abbildung 3: Renditen verschiedener Assetklassen
Quelle: Intercontinental Exchange, Inc.; Bloomberg L.P.; Quoniam Asset Management

Wie man aus der Abbildung erkennen kann, ist die laufende Rendite von Euro IG-Unternehmensanleihen inzwischen auf ähnlichem Niveau wie die anderer Assetklassen. Wenn man tägliche Schwankungen an den Märkten ausklammert, kann man folgende Schlussfolgerungen ziehen:

  • Euro IG-Unternehmensanleihen rentieren in der Benchmark mit rund 3%. Aktiv gemanagte Mandate erreichen zwischen 3% und 3,5%.
  • Die geschätzte Dividendenrendite auf europäische Aktien liegt bei rund 3,5%. Diese Zahl ist aufgrund der Unsicherheit von Dividendenhöhe und -zahlungen allerdings schwankungsanfälliger als Credit-Renditen.
  • Europäische ABS sind in der Rendite ebenso gestiegen wie Unternehmensanleihen. Allerdings ist der Renditevorsprung, der 2021 noch bei über 0,5% lag, weggefallen.
  • Bruttomietrenditen in Europa liegen nach Zahlen führender Immobilienanbieter aktuell bei rund 3%. Damit sind relativ liquide Unternehmensanleihen sogar leicht höher rentierlich als Immobilieninvestments.
Returnerwartung aus Zinsänderungen

Laufende Rendite und Rolldown-Effekte entsprechen in Summe dem realisierten Return, wenn Spread- und Zinskurven auf aktuellem Niveau verharren. In einem dynamischen Marktumfeld wie dem aktuellen ist allerdings davon auszugehen, dass der realisierte Return durch Zins- und Spreadänderungen beeinflusst wird. Wir analysieren deshalb ein Szenario, das den aktuellen Markterwartungen von fallenden Inflationsraten in einem sich abkühlenden Konjunkturumfeld entspricht.
In einem solchen Umfeld ist von fallenden Zinsen auszugehen, was zu steigenden Returns der Assetklasse führen sollte. Ein Blick auf die Historie der deutschen zehnjährigen Zinsen zeigt die Dimensionen, die ein solcher Zinsrückgang annehmen könnte.

Abbildung 4: Bund-Rendite seit 2005
Quelle: Bloomberg L.P.
  • In der Rezession 2007-2009 fielen die Bund-Renditen von 4,5% auf 3%. Dies entspricht einem Rückgang von 1,5 Prozentpunkten.
  • In der Euro-Schuldenkrise fielen Bund-Renditen um 1,75 Prozentpunkte von 3,5% auf 1,75%.
  • In der Rezession 2020 fielen die Bund-Renditen um 0,75 Prozentpunkte auf -0,9%.

Setzt man im Falle rückläufiger Inflationsraten und einer Rezession einen Rückgang der deutschen Zinsen auf 0% an, wäre in diesem Fall von einer zusätzlichen Rendite von ca. 6-7% auszugehen.

Wie entwickeln sich Creditspreads in einem solchen Umfeld?

In einem Wirtschaftsabschwung steigen die Kreditrisiken und Risikoaufschläge tendenziell auf erhöhte Niveaus. Allerdings hat die Spreadausweitung im ersten Halbjahr bereits einiges von dieser Entwicklung vorweggenommen. Wieviel Downside haben Creditspreads im aktuellen Umfeld?

Abbildung 5: Euro IG-Creditspreads seit 2005
Quelle: Bloomberg L.P.

Es gab seit Einführung des Euro nur drei Phasen, in denen die Euro IG-Creditspreads höher waren als im aktuellen Umfeld:

  • Auf dem Höhepunkt der Lehman-Krise stiegen die Creditspreads auf über 4,5%. Damals handelte es sich um eine systemische Krise, bei der zwischenzeitlich der Fortbestand des Bankensystems in Frage stand.
  • In der europäischen Schuldenkrise 2010-2012 erreichten Euro IG-Spreads in der Spitze mehr als 3,5%. Diese Ausweitung war aber nicht gleichmäßig über den Markt verteilt, sondern von der massiven Erhöhung der Creditrisiken von südeuropäischen Banken und Unternehmen getrieben. Auch diese Krise war systemischer Natur.
  • Das Spreadmaximum in der Coronakrise im März 2020 lag bei knapp 2,5%. Auf diesem Niveau griff die EZB in den Markt ein, um Spreads zu stützen.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die EZB zum Ende der europäischen Schuldenkrise großangelegte Unterstützungsmaßnahmen für europäische Staats- und später auch Unternehmensanleihen eingeführt hat. Diese Maßnahmen wurden nach Ausbruch der Corona-Pandemie erneut aufgegriffen, was zu einer deutlichen Erholung am Markt geführt hatte. Aktuell liegen die Creditspreads ungefähr 40 Basispunkte unter dem Niveau, auf dem 2020 ein Eingriff der EZB erfolgt ist. Zwar ist anzunehmen, dass im aktuellen Umfeld mit hoher Inflation und Leitzinserhöhungen die Schwelle für ein Eingreifen höher liegt. Allerdings lassen die kürzlich durchgeführten Interventionen zur Beendigung des Anstiegs der Spreads von Peripherie-Staatsanleihen vermuten, dass die EZB im Hinblick auf Marktunterstützung nicht auf ein neues Paradigma geschwenkt ist.

Weitere Aspekte unterstützen Creditspreads auf den aktuellen Niveaus:

  • Die Qualität der Bilanzen europäischer Unternehmen hat sich verbessert. Insbesondere der Verschuldungsgrad ist im Schnitt rückläufig.
  • Die Ratingagenturen führen aus diesem Grund nach wie vor mehr Upgrades von Credit-Ratings als Downgrades durch.
  • Defaultraten von Unternehmen bleiben nach einer Schätzung der Ratingagentur Moody’s in ihrem Basisszenario auf weiterhin sehr niedrigen Niveaus.

„Das relativ sichere IG-Segment könnte daher Investoren anlocken, die ein nicht allzu pessimistisches Bild von den nächsten zwölf Monaten haben.“

Dr. Harald Henke
Head of Fixed Income Strategy

Sofern eine potenzielle Rezession nicht sehr stark wird und sich in eine systemische Krise ausweitet, haben Creditspreads bereits viel ihrer Downside realisiert. Das relativ sichere IG-Segment könnte daher Investoren anlocken, die ein nicht allzu pessimistisches Bild von den nächsten zwölf Monaten haben.

Zusammenfassung

Investoren, die die aktuell hohen Inflationsraten für temporär halten und keine schwere Wirtschaftskrise erwarten, haben mit Euro IG-Unternehmensanleihen derzeit eine interessante Assetklasse zur Auswahl:

  • Unter Berücksichtigung von aktivem Management und Rolldown-Returns sind Renditen von bis zu 4% erreichbar.
  • Damit sind Unternehmensanleihen gegenüber anderen Assetklassen deutlich attraktiver geworden.
  • Im Falle eines Konjunkturabschwungs ist Rückenwind von der Zinsseite zu erwarten.
  • Creditspreads reflektieren bereits einen deutlichen Konjunkturabschwung. Positive Fundamentaldaten der Unternehmen und zu erwartende Zentralbankunterstützung limitieren Drawdowns.

Über viele Jahre klagten Investoren über niedrige Renditen. Inzwischen lassen sich attraktive Renditen wieder mit liquiden Instrumenten wie IG-Unternehmensanleihen einkaufen.

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